Zum Hauptinhalt springen
Geschichte

Aufbruch ins elektronische Zeitalter

Mehr als ein halbes Jahrhundert Bosch Benzineinspritzung Jetronic

Funktionsprüfung eines D-Jetronic-Steuergerätes, 1972

Es war im Oktober 2006, als Dr. Heinrich Knapp die Räume der Ausstellung zur Bosch-Geschichte nahe am Feuerbacher Werk betrat. Was der pensionierte Entwicklungsleiter an diesem Tag einem verblüfften Bosch-Mitarbeiter überreichte, war ein kleines Stück Papier, das es in sich hatte.

Es war die erste Prinzip-Zeichnung einer elektronischen Benzineinspritzung, die Knapp selbst 1959 angefertigt hatte. Er wolle sie dem Bosch-Archiv überlassen und habe sie daher gleich mitgebracht.
Der Physiker Knapp war damals einer der Pioniere für dieses Zukunftsprojekt. Seine Aufgabe ab 1959 war es, die ersten Prototypen zu entwickeln. Dazu kauften Bosch-Mitarbeiter einen Mercedes-Benz Typ 300 als Firmenwagen und rüsteten ihn zum Testwagen für elektronische Benzineinspritzsysteme um. Jedes Mal vor der Inspektion, so erzählte es Knapp, wurde der Wagen zurück auf den Vergaser umgerüstet, damit der Hersteller keinen Verdacht schöpfte, was Bosch vorhatte.

Steuergerät einer D-Jetronic von 1969
Steuergerät einer D-Jetronic von 1969 für Sechszylinder-Motoren im Bosch-Archiv, 2017

Versuchen, Scheitern, Geheimhalten

Den Kunden aus der Automobilindustrie elektronisch gesteuerte Technik anzubieten, war in den 1950er und 1960er Jahren noch schwer. Elektrik, Mechanik, Hydraulik und Pneumatik, das waren in der Autoindustrie die Kernbegriffe für zuverlässige Technik, die Bosch liefern konnte. Das galt für den Generator beim Omnibus, den Pflugheber im Traktor, den Fensterheber in der Limousine oder bei Zündkontakten beim Moped. Aber Elektronik – bei Radios, Funkgeräten und Fernsehern gut etabliert – sahen die Fachleute der meisten europäischen Autohersteller mit Skepsis.

Der Einsatz von elektronischen Komponenten in Autos war mutig, konnte aber auch schiefgehen. So verkaufte die US-amerikanische Chrysler Corporation bereits 1958 die Limousine Chrysler 300 mit der elektronisch gesteuerten Benzineinspritzung Electrojector des US-Zulieferers Bendix Corporation. Doch das System erwies sich im Alltagsgebrauch als so unzuverlässig, dass sämtliche Wagen zurück auf den herkömmlichen Vergaser umgerüstet werden mussten. Bendix hatte damit einen Vorsprung von fast neun Jahren vor Bosch, aber das System scheiterte. Bosch konnte von dem Knowhow von Bendix profitieren. Durch gegenseitige Nutzung von Patenten entwickelten beide ihre Kompetenzen in der Einspritzelektronik weiter. Bendix stellte die Arbeiten an einer eigenen Lösung jedoch wieder ein.

„Der Zeit etwas voraus“

Anfang der 1960er Jahre stand in den USA der Kampf gegen zunehmende Luftverschmutzung auf der Agenda. Der sommerliche Smog in der kalifornischen Metropole Los Angeles war in hohem Maße gesundheitsgefährdend. Daraus entstand 1963 in den USA eines der ersten Umweltschutzgesetze weltweit, der Clean Air Act.
Und hier kam Bosch in Spiel. Die spätere Ankündigung eines verschärften Air Quality Act für Automobile ab dem Modelljahr 1968, d.h. Verkaufsstart bereits Spätsommer 1967, verhieß nichts Gutes für so manches Modell.
Die Volkswagen AG zum Beispiel, hatte bislang mit dem Typ 1, in Deutschland Käfer und in den USA Beetle genannt, ein Erfolgsmodell am Start, das durch den etwas größeren Typ 3 ergänzt wurde. Dieser war mit dem gleichen Typ Vierzylinder-Boxermotor wie der „Käfer“ ausgerüstet, allerdings mit höherem Hubraum. Die neuen Schadstoff-Abgaswerte des Clean Air Act hätte dieser hubraumgesteigerte Motor nicht mit dem herkömmlichen Vergaser erreichen können – dem Typ 3 wäre von den US-Behörden die Zulassung verweigert worden.

Funktionsprüfung eines D-Jetronic-Steuergerätes, 1972
Funktionsprüfung eines D-Jetronic-Steuergerätes im Prüflabor des Technischen Zentrums in Schwieberdingen, 1972

Erste Versuchsträger

Bosch stand zu dieser Zeit schon in Kontakt mit VW und konnte auch schon erste seriennahe Versuchsträger präsentieren, einen Mercedes-Benz 220 SE und einen VW 1500. Hermann Scholl, Ehrenvorsitzender der Bosch-Gruppe und ab 1962 bei der Entwicklung elektronischer Benzineinspritzsysteme federführend, erinnert sich: „Unser Kunde Volkswagen war bei der Vorstellung des Systems 1964 anfangs skeptisch, so wie eigentlich jeder Automobilhersteller, bei dem wir uns um die Einführung unserer neuartigen Einspritzung bemühten.“

Sie war ihrer Zeit ein wenig voraus, und schließlich hatte sich noch kein vergleichbares System in Großserie bewähren können. „Ein gewisses Risiko“, so erinnert sich Scholl, „mussten die Autohersteller eingehen“.

Erprobung der Funktion eines Einspritzventils für die L-Jetronic, 1980
Erprobung der Funktion eines Einspritzventils für die L-Jetronic im Technischen Zentrum in Schwieberdingen, um 1980

Die Marktreife

Am 14. September 1967 stellte Bosch auf der Internationalen Frankfurter Automobil-Ausstellung die elektronisch gesteuerte „Jetronic“ erstmals vor. Die Markteinführung kam zunächst in den USA, wo die neuen strengen Abgasnormen auf dem wichtigen kalifornischen Markt es erforderten. Bis die Kunden aus der Autoindustrie in Europa und Asien nachzogen, dauerte es noch ein bisschen. Der VW 1600 war in Deutschland ab Juni 1968 mit der Jetronic erhältlich, allerdings zu einem satten Aufpreis von fast 600 Deutschen Mark (DM), bei einem Grundpreis des Autos von etwa 6 000 DM. Es verwundert nicht, dass nur wenige Kunden das Auto mit dieser Technik bestellten, auch wenn die Autotester den besseren Motorlauf lobten. Die Abgasnormen in Europa bereiteten Motoren mit der alten Vergasertechnik auch noch keine Probleme.

Andere Hersteller erkannten allerdings zwei andere wichtige Vorteile: die Senkung des Benzinverbrauchs und die mögliche Steigerung der Motorleistung mit der Jetronic. So kam es, dass andere Hersteller wie BMW, Citroen, Jaguar, Lancia, Mercedes-Benz, Opel, Renault, Saab und Volvo in den Jahren ab 1969 einige Topmodelle mit der Bosch-Technik ausrüsteten.

Die Auswirkungen

Lehrtafel die erklärt, wie die D-Jetronic funktioniert, 1971
Lehrtafel von 1971. Sie erklärt, wie die D-Jetronic funktioniert.

Manche Kunden aus der Autoindustrie waren sich noch nicht sicher, ob das wirklich die Zukunft sei. Und auch bei Bosch gab es Verfechter mechanisch gesteuerter Einspritzsysteme. Um diese Technik ebenfalls liefern zu können, entwickelte Bosch parallel zum elektronischen Nachfolgesystem L-Jetronic das mechanische Pendant K-Jetronic. Beide kamen 1973 auf den Markt. Über einige Jahre entstand damit auch ein gewisser interner Konkurrenzkampf, in dem deutlich mehr mechanische Systeme verkauft wurden. Dass sich am Ende die elektronische Benzineinspritzung durchsetzte, hatte mit weltweit verschärften Emissionsgesetzen zu tun.

Diese machten Katalysatoren zur Emissionssenkung erforderlich, und damit zusätzliche elektronische Systeme wie die Lambdaregelung. Diese reguliert das Verhältnis von Luft und Abgas in einem Verbrennungsmotor so, dass der Kraftstoff möglichst rückstandsfrei verbrennt. Mechanische Systeme konnten das, wenn überhaupt, nur mit zunehmend größerem und bald unverhältnismäßigem Aufwand leisten. Mit der Bündelung der Einspritzung und Zündung in der digitalen Motorsteuerung Motronic, die Bosch 1979 vorstellte, begann sich Elektronik in der Gemischaufbereitung endgültig durchzusetzen.

Nachfolger

Deren Nachfolgegenerationen lassen sich auch in heutigen Autos finden. Damit schaffte diese Pioniertechnik die Voraussetzungen für neue Standards. Aber mehr noch: Die Jetronic verschaffte dem Erfolg elektronischer Systeme Impulse, ohne die die Elektronik im Auto heute bei weitem nicht den gleichen Stellenwert hätte.

Common Rail und ABS, Airbagsteuerung und Einparkassistent – ohne den „Pionier“ Jetronic wäre das Vertrauen in die elektronische Steuerung gewiss nicht so schnell gewachsen.

Laborplatz für elektrische Messungen an Jetronic- und Motronic Steuergeräten, 1983
Laborplatz bei Bosch für elektrische Messungen an Jetronic- und Motronic Steuergeräten, 1983

Autor: Dietrich Kuhlgatz

Teile diese Seite auf