Tradition und Neubeginn
Bosch in Osteuropa
Der Fall des Eisernen Vorhangs am Ende des 20. Jahrhunderts erschütterte nicht nur die Politik. Innerhalb kürzester Zeit zeichnete sich ein völlig verändertes Bild des europäischen „Ostens“ ab.
Nach dem Kalten Krieg
Marktwirtschaftliche Ansätze ersetzten zentralistisch geführte Planwirtschaften und auf der politischen Landkarte erschienen zahlreiche neue Staaten. „Wachstumschancen“ und „neue Perspektiven“ wurden zu Schlagworten der frühen 1990er Jahre.
Bosch nutzte die Chance, die der osteuropäische Gesamtmarkt mit rund 250 Millionen Verbrauchern bot, und war schnell vor Ort vertreten.
Ein Blick zurück
Die Traditionslinien von Bosch in der Region reichten weit zurück. Die Anfänge der Geschäftstätigkeit in Osteuropa lagen sogar noch im vor-vorigen Jahrhundert: 1899 hatte die Firma Dénes & Friedmann den Vertrieb von Bosch-Produkten unter anderem in Ungarn übernommen. Weitere Verträge mit Partnern vor Ort folgten oder aber Bosch eröffnete eigene Verkaufsniederlassungen in osteuropäischen Staaten, so dass bis in die 1920er Jahre ein erfolgreiches Netz an Vertretungen geschaffen wurde. Selbst während der Zeit des Kalten Krieges nach 1945 rissen Handelsgeschäft und Vergabe von Fertigungslizenzen nie ganz ab, bis schließlich zu Beginn der 1990er Jahre eine ganze Reihe von Neugründungen die Geschäfte in Osteuropa nachhaltig belebten.
Jenseits des eisernen Vorhangs
Seit 1969 koordinierte Bosch den Vertrieb und Kundendienst in Mittel- und Osteuropa von Österreich aus – und auch nach 1990 wurden die Fäden zunächst von Wien aus gezogen. Von dort war bereits 1988 unter den Vorzeichen der neuen liberaleren Wirtschaftspolitik Gorbatschows in der damaligen Sowjetunion ein Verbindungsbüro in Moskau eingerichtet worden.
1990 nahmen Verbindungsbüros in Budapest, Warschau und Prag die Arbeit auf; 1991 wurde der weitere Aufbau von Verkaufsregionalgesellschaften in Osteuropa der österreichischen Bosch-Gesellschaft übertragen.
12 Neugründungen in zwei Jahren
Der rasche Aufbau der erforderlichen neuen Verkaufsregionalgesellschaften gelang dank kurzer Entscheidungswege und der gebündelten Erfahrungen aus der langjährigen osteuropäischen Geschäftstätigkeit. 1992 wurden die Verbindungsbüros in Budapest, Warschau und Prag in eigenständige Regionalgesellschaften umgewandelt. Weitere Regionalgesellschaften wurden 1993 in Ljubljana, Riga, Kiew, Moskau, Zagreb, Minsk, Sofia und Bratislava gegründet, 1994 folgte Bukarest.
Manchmal war in den Anfangsjahren der neuen Bosch-Gesellschaften ein gewisses Maß an Flexibilität und Improvisationstalent erforderlich. Nicht immer einfach war die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten und der entsprechenden Ausstattung. Telefonanschlüsse mussten gelegt und das Büromaterial mitunter eingeflogen werden. Unterschiedliche behördliche Vorgaben in den einzelnen Ländern führten zu manchen Verzögerungen, die aber letztlich vor allem auch mit Hilfe der neuen, sehr motivierten Mitarbeiter vor Ort überwunden werden konnten.
Kuriositäten
Einen kuriosen Höhepunkt bildete die Lieferung von 15 Tonnen Hirse im Zündkerzenwerk im russischen Engels. Zu Sowjetzeiten waren große Industriebetriebe oftmals eine Welt für sich, so hatten zur Zündkerzenfabrik anfangs auch Kindergärten, Schulen, Werkswohnungen und eine Schweinefarm samt jeweiliger Verwaltungseinheiten gehört. Eine eigene Abteilung bearbeitete Tauschgeschäfte, die in den Jahren der Währungsunsicherheit noch weit verbreitet waren.
Die produzierten und ausgelieferten Zündkerzen wurden mit verschiedenen Gegenwerten wie Benzin, Motoren oder Autoersatzteilen „bezahlt“. Die Hirse fiel dabei aber ganz und gar aus dem Rahmen. Schließlich gelang nach einigem Verhandeln, mit dem Getreide eine Steuerschuld bei der Stadtverwaltung zu begleichen.
Blick nach vorn
Inzwischen liegt die erste Gründungswelle in Osteuropa bereits einige Zeit zurück, und es kommen immer noch neue Regionalgesellschaften hinzu. Auf die Verkaufsgesellschaften folgten bald erste Fertigungen unter dem Namen Bosch. Heute produzieren alle vier Unternehmensbereiche der Robert Bosch GmbH in osteuropäischen Ländern und führen moderne Werke in Tschechien, Slowenien, Polen, Ungarn, in der Slowakei, in Rumänien, Serbien und Bulgarien.
Der kontinuierliche Ausbau der Unternehmenspräsenz in der Region zeigt, dass Bosch auch weiterhin an das langfristige Wachstumspotenzial von Osteuropa glaubt. Rückblickend lässt sich also festhalten: das rechtzeitige Setzen auf „Wachstumschancen“ wie auch „neue Perspektiven“ in Osteuropa haben sich mehr als bewährt.
Autorin: Bettina Simon