Künstliche Intelligenz: Mehr Realismus, bitte!
17.05.2017
Die Gesellschaft muss in ihre eigene Intelligenz investieren: Die Verbreitung von künstlicher Intelligenz erfordert mehr Aus- und Weiterbildung und kein bedingungsloses Grundeinkommen.
Ein Plädoyer von Dr. Volkmar Denner
Verlockend und unheimlich zugleich ist die Vorstellung, der rasante Fortschritt der Technik könne irgendwann die Science Fiction einholen. Es hat den Anschein, als mache die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, kurz KI, diese Karriere gerade durch – zumindest wenn es nach der öffentlichen Aufregung geht. Beobachten können wir geradezu eine Konjunktur vermeintlich wissenschaftlicher Studien, die uns zum Beispiel die Abschaffung unserer Arbeitsplätze durch technische Superintelligenz prognostizieren. Dem möchte ich entgegenhalten: Mehr Realismus, bitte! Tatsächlich sind wir von einer Superintelligenz viele Turing- oder Nobelpreise entfernt. Zwar kommt die technische Entwicklung zügig voran, auch bei Bosch im Zentrum für Künstliche Intelligenz. Aber wir wollen keine Technik gegen das Leben, vielmehr gerade umgekehrt eine Technik für das Leben.
Mensch im Mittelpunkt
So paradox das klingt: Es geht darum, die Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklung künstlicher Intelligenz zu stellen – und dafür müssen Unternehmen diese Entwicklung nicht nur technisch forcieren, sondern auch ethisch reflektieren. Auf vier Punkte kommt es in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umsetzung der neuen Technik an: Transparenz, Bildung, Nutzen sowie Kooperation statt Substitution. Das heißt erstens: erklären, was wir tun, uns auch dem kritischen Diskurs stellen. Zweitens: die Menschen zum Umgang mit KI befähigen, sie schulen. Drittens: auf Anwendungen setzen, die möglichst unmittelbaren Nutzen stiften, etwa Unfälle vermeiden, vorausschauend Produktionsfehler oder auch Krankheiten diagnostizieren. Und viertens: die Menschen mit KI nicht ersetzen, sondern ihre unersetzbare Kreativität ergänzen.
Die Zukunft ist smart
Was aber kann künstliche Intelligenz in näherer Zukunft tatsächlich? Ich plädiere für eine sachliche Annäherung. Wir sollten jenen irrationalen Versuchungen nicht nachgeben, die wir aus der Sozialpsychologie moderner Technik kennen: dass wir eine Entwicklung, die uns komplex und schwer überschaubar anmutet, kurzschlüssig mit Angst besetzen. Wer sich mit der Sache näher beschäftigt, erkennt sehr bald, dass sich KI sehr praxisorientiert entwickelt. Aber es gibt auch visionäre Vorstellungen – ich könnte auch sagen: Utopien. In der Weiterentwicklung geht es zwar immer um den Versuch, eine menschenähnliche Intelligenz nachzubilden – über hochleistungsfähige Rechner- und Informationstechnik, die eigenständig Probleme erkennen und bearbeiten kann.
Kollege statt Konkurrent
Doch nur in der eher utopischen Sicht werden Maschinen den Menschen an Intelligenz übertreffen, was als technologische Singularität bezeichnet wird. Diesseits solcher Phantasien verfolgt die praxisorientierte KI das Ziel, das menschliche Denken in konkreten Anwendungsfällen zu unterstützen. Das kann das automatisierte Fahren sein, das können Industrieroboter sein, die intelligent und perzeptiv genug sind, um mit den Menschen im Team zusammenzuarbeiten. Sie entlasten ihre menschlichen Kollegen, sie nehmen ihnen Routineaufgaben ab – auf dass die Menschen selbst sich auf das konzentrieren können, was sie zu Menschen macht: nämlich auf ihre Kreativität. Genau in diese Richtung ist Bosch unterwegs.
KI im Alltag
Schluss mit Pessimismus
Dass Mensch und Maschine auf einer höheren Stufe kooperieren können, übersehen jene Szenarien, die uns vorspiegeln, Künstliche Intelligenz nehme der menschlichen die Arbeit weg. Leider jedoch sind diese Szenarien nicht bloß fragwürdig, sondern auch einflussreich – „bad news“ verkaufen sich gut. Da ist zum Beispiel die vielzitierte Osborne/Frey-Studie aus Oxford, ganz zu Recht auch als „Pi-mal-Daumen-Studie“ bezeichnet. Sie versucht für gut 700 Berufe in den USA die Frage zu beantworten, wie weit diese automatisierbar sind oder nicht. Und methodisch unbeschwert wird das Ergebnis hochgerechnet: Nahezu die Hälfte aller Arbeitsplätze in den USA seien in Gefahr, sagen Osborne und Frey. Das sind Voraussagen, die selbst Kassandra noch als Optimistin erscheinen lassen. Immerhin stuft das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer Gegenstudie maximal neun Prozent der Berufe in Industrieländern als gefährdet ein. Doch die öffentliche Angst ist damit kaum noch einzuholen: Schon macht die Idee einer Robotersteuer Karriere, um bedingungslose Grundeinkommen zu finanzieren.
KI schafft neue Jobs
Auch dahinter steckt die fatale Vorstellung, technischer Fortschritt habe keine andere Wirkung, als Arbeitsplätze zu vernichten. Dieser Vorstellung liegt eine zweite zugrunde: dass sich mit der Automatisierung bloß das Verhältnis von Kapital und Arbeit in einer ansonsten statischen Wertschöpfung verschiebt. Was in diesem Nullsummen-Spiel regelmäßig ausgeblendet wird, ist das Wachstum. Innovationen wie die künstliche Intelligenz vergrößern die Wertschöpfung, sie verbessern die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen wie Bosch. Und die Erfahrung zeigt: Noch jeder Automatisierungsschub hat zwar Arbeitsplätze gekostet, in der Regel einfache. Aber er hat immer auch neue geschaffen, meist anspruchsvolle. Je komplexer die automatisierten Abläufe, desto qualifizierter müssen die Menschen sein, die sie beherrschen und instand halten. Daraus folgt, dass wir uns eher Gedanken über die Aus- und Weiterbildung als über ein bedingungsloses Grundeinkommen machen sollten. So führt Bosch in seinen großen Werken eine Robotik-Schulung für alle technischen Lehrlinge ein. Unsere Gesellschaft muss auch in ihre eigene Intelligenz investieren.