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Denner’s view

Wo Europa in der KI Spitze sein kann

Dr. Volkmar Denner im Vordergrund und ein stilisiertes Gehirn auf einer Leiterplatte im Hintergrund

18.10.2019

Selbstbewusstsein statt Sirenentöne: Die europäische Industrie hat bei der künstlichen Intelligenz Stärken, die andere nicht haben.

von Dr. Volkmar Denner

Wenn derzeit in Sachen Zukunftstechnologien von Europa die Rede ist, dann meist im alarmierenden Befund schwindender digitaler Wettbewerbsfähigkeit. Man fragt nach der Rolle Europas in einer Weltwirtschaft, die zunehmend den Gesetzen der Plattform-Ökonomie folgt, in der sich die USA und China einen atemberaubenden Wettlauf um die Schlüsselkompetenz der künstlichen Intelligenz liefern. Es ist dieser Ton, der den alten Kontinent vor allem technologisch im Hintertreffen glaubt, gerade im Basis-Know-how der IT-Welt abhängig von anderen.

Das ist nicht ganz falsch, und doch fordert es zum Widerspruch heraus. Denn in der Verbindung von Internet der Dinge und industriellen Prozessen, vor allem im Einsatz künstlicher Intelligenz in der Produktion, hat Europa Stärken, die andere nicht haben. Anlass genug für mehr europäisches Selbstbewusstsein – und eine gezielte Innovationspolitik, die unsere Stärken stärkt.

„Europa im Basis-Know-how der IT-Welt abhängig von anderen? Das ist nicht ganz falsch, und doch fordert es zum Widerspruch heraus.“
Volkmar Denner, CEO Bosch
Eine Frau in einer Fertigungshalle mit Tablet in der Hand

Heraus aus dem Mittelfeld: KI-Förderung muss zulegen

Gerade in Sachen künstlicher Intelligenz scheint die Unterlegenheit Europas für viele Meinungsmacher schon festzustehen. Schlagzeilen wie „künstliche Insuffizienz“ polemisieren etwa gegen die KI-Strategie der deutschen Bundesregierung. Es ist ja richtig: Mit den angekündigten Mitteln von drei Milliarden Euro läge die KI-Förderung in Deutschland international gerade mal im Mittelfeld – hier kann und muss zugelegt werden. Und doch macht es sich die Kritik zu einfach, sie ist schlicht zu undifferenziert. Denn sie diskutiert künstliche Intelligenz vor allem aus Sicht der großen IT-Unternehmen aus den USA, die ihr Geld mit datenbasierten Services verdienen. Demgegenüber lohnt es sich, eine andere Perspektive einzubringen – die Perspektive industriell geprägter Wertschöpfungsketten, in denen Europa und nicht zuletzt Deutschland mit KI global konkurrenzfähig und sogar führend sein kann.

Im Wettbewerb mit China und den USA hat gerade die deutsche Wirtschaft eine Chance, wenn sie sich auf drei Stärken besinnt: erstens die Herstellung von komplexen physischen Produkten, zweitens die digitale Kombination von Maschinen und Produktdaten und drittens die Etablierung von Ökosystemen aus Wissenschaft und Start-ups, kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Großindustrie. Dann kann das Kompetenzfeld der industriellen KI ein wesentlicher Faktor für den künftigen wirtschaftlichen Erfolg und nicht zuletzt für die Lebensqualität in diesem Land sein.

KI im Auto: Eine Kamera versteht, was sie sieht

Dieser Ansatz unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der Strategie der bestehenden IT-Giganten. Dort dient künstliche Intelligenz in erster Linie dazu, Modelle des Menschen zu erstellen – es geht vor allem um Kaufpräferenzen. Der europäische Ansatz zielt stattdessen auf die dingliche Welt. Sei es beim Notbremsassistenten im Auto, sei es bei der Klassifikation von Fehlteilen in der Produktion – die künstliche Intelligenz erklärt hier nicht der Maschine den Menschen, sondern der Maschine die physische Welt. Unsere neueste Kamera fürs automatisierte Fahren versteht mittels KI, was sie sieht – damit lässt sich zum Beispiel der Notbremsassistent verbessern. Unternehmen wie Bosch geht es mit künstlicher Intelligenz nicht darum, den Menschen zu modellieren, sondern Technik zu optimieren.

Ein Auto überholt in einer Stadt ein Fahrrad.
Sicherheit im Straßenverkehr: KI-Kamera verbessert die automatische Notbremsung
„Unternehmen wie Bosch geht es mit künstlicher Intelligenz nicht darum, den Menschen zu modellieren, sondern Technik zu optimieren.“
Volkmar Denner, CEO Bosch

KI in der Industrie: Wie Maschinen lernen

Dr. Volkmar Denner hinter dem Roboterarm ViPAS bei der Sichtprüfung von Produktionsteilen
Premiere für ViPAS: Bosch stellt sein KI-System zur Qualitätskontrolle auf der Hannover Messe 2019 vor.

Aus diesem Ansatz folgen bereits sehr konkrete Anwendungen in der Produktion. Beispiel ViPAS, ein KI-basiertes System zur visuellen Qualitätskontrolle. Ein System, dessen Bildverarbeitung nicht mehr aufwändig programmiert werden muss. Es hat neuronale Netze, die anhand von Mustern lernen, was defekt ist und was nicht. Ausgestattet mit Greifarm, Kamera und Deep-Learning-Software erkennt ViPAS fehlerhafte Werkstücke verlässlich. Im Rahmen eines Pilotversuchs bei Bosch im Werk Nürnberg lag ViPAS bei 12 000 Prüfvorgängen in 99,9 Prozent der Fälle richtig. So muss künstliche Intelligenz sein, sicher, robust und nachvollziehbar – die menschliche Arbeitskraft von Routineaufgaben entlastend. Auch mit KI wird die Maschine den Menschen nicht einfach ersetzen, wohl aber kann sie Freiräume für seine einzigartige Kreativität schaffen – oder diese Kreativität zumindest ergänzen.

Vorteil Praxisnähe: Wettbewerb um die KI-Forscher

Wie aber die Spitze des KI-Fortschritts halten? Entscheidend ist die enge Verzahnung von Theorie und Praxis. Eben deshalb betreibt ein Technologie-Unternehmen wie Bosch nicht nur ein eigenes Zentrum für künstliche Intelligenz. Genauso wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Bosch ist zum Beispiel Gründungsmitglied des „Cyber Valley“ in Baden-Württemberg und investiert unter anderem 35 Millionen Euro in den Bau eines KI-Campus in der Universitätsstadt Tübingen. Dort sollen rund 700 Experten künftig an Anwendungen der künstlichen Intelligenz arbeiten. Im Wettbewerb um die besten KI-Nachwuchskräfte hat die deutsche Industrie mit ihrer Praxisnähe einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Sie ist interessant für Fachkräfte, die reale Produkte verbessern wollen.

Ein Mann steht direkt neben einem Roboterarm

Gemeinsam nach vorn: KI „made in Europe“

Vor diesem Hintergrund liegt die Bundesregierung mit ihrer KI-Strategie richtig, wenn sie den Aufbau von Forschungs- und Kompetenzzentren mit engem Anwendungsbezug forciert. Allerdings sollte sie darauf achten, dass sich die KI-Forschung nicht verästelt, sondern sich auf wenige, aber leistungsfähige Zentren konzentriert. Und was immer wir in Deutschland tun, wir müssen in europäischen Maßstäben denken. Potenzial steckt etwa im Zusammenspiel deutscher Ingenieurskunst und französischer Mathematik. Gemeinsam können wir KI „made in Europe“ ganz nach vorne bringen.

Erstveröffentlichung in der Wirtschaftswoche am 18. Oktober 2019

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