Die Zukunft gehört digitalen Ökosystemen
Im Gespräch mit dem Chairman und CEO von Microsoft
11.08.2021
Künstliche Intelligenz und vernetzte Software-Plattformen werden ganze Branchen verändern. Satya Nadella, Chairman und CEO von Microsoft, über die Rolle von digitalen Technologien und die Bedeutung von Zusammenarbeit zwischen Unternehmen.
Es gibt wenige CEOs, die den Willen zur Transformation so verkörpern wie Satya Nadella von Microsoft. Seit seinem Amtsantritt 2014 begnügt sich der heute 53-Jährige nicht damit, das Erbe seiner Vorgänger Bill Gates und Steve Ballmer zu verwalten. Stattdessen führt er das Unternehmen durch neue Technologien auf einen innovativen Kurs. So brachte Nadella beispielsweise das Cloud-Geschäft Azure voran, investierte in Mixed Reality, Künstliche Intelligenz (KI) und Industrie 4.0. Als Chief Culture Officer etablierte er eine neue Unternehmenskultur aus Teamwork, Offenheit und Mut.
Nahezu 250 Millionen
Menschen nutzten Microsoft Teams im Monat Juli 2021. Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 waren hingegen nur 44 Millionen Personen bei dem Dienst angemeldet.
Digitalisierung hilft durch Krisen
Nadella sieht Microsoft als Unternehmen, das Menschen und Organisationen dazu befähigt, mehr zu erreichen und herausfordernde Situationen zu bestehen – etwa die Corona-Pandemie. „Digitale Technologie ist für die Belastbarkeit der Gesellschaft sehr wichtig“, sagt er. „Wir sind zu digitalen Ersthelfern für viele andere Ersthelfer geworden, sei es im Gesundheitswesen oder in kritischen Bereichen der Fertigung. Wir haben sichergestellt, dass die benötigte digitale Technologie bereitstand.“ So spielt die Business Communication-Software Microsoft Teams für viele Menschen im Homeoffice eine große Rolle. Die Zahl der weltweit monatlich aktiven Nutzerinnen und Nutzer wuchs auf nahezu 250 Millionen. Laut Nadella hat die Pandemie zu einem echten Strukturwandel geführt, einschließlich einer Beschleunigung von digitalen Technologien in vielen Bereichen wie Einzelhandel, Gesundheitswesen und Industrie. „In der Fertigung wird alles was simuliert, automatisiert oder als digitaler Zwilling dargestellt werden kann, auch so umgesetzt. Wir haben bewiesen, dass mittlerweile nahezu alles ferngesteuert werden kann.“
Microsoft bietet dafür beispielsweise Azure Digital Twins. Damit lassen sich in der Cloud so genannte Digitale Zwillinge erstellen, also datenbasierte 3D-Modelle von Objekten oder Prozessen – etwa Autos, Krankenhäuser, Wertschöpfungsketten oder ganze Städte. Digitale Zwillinge ermöglichen detaillierte Einblicke zum Beispiel in Energieverbrauche oder Produktionsprozesse. Dadurch können diese schneller optimiert werden. Auch im Bereich der digitalen Aus- und Weiterbildung offeriert Microsoft eine Lösung: Die Datenbrille Hololens blendet Mixed Reality-Anwendungen in das Sichtfeld der Trägerin oder des Trägers ein und überträgt dieses über eine integrierte Kamera auch ins Internet. Das erlaubt zum Beispiel Schulungen, bei denen eine Fachkraft die Beschäftigten eines Fertigungswerkes aus tausenden Kilometern Entfernung dabei unterstützt, vor Ort eine Maschine zu warten.
Fahrzeuge als Teil eines wachsenden digitalen Ökosystems
In den kommenden Jahren werden laut Nadella immer mehr Alltagsprodukte vernetzt und dadurch Teil des Internets – auch Fahrzeuge. „Die Automobilindustrie wird immer digitaler und softwaregetriebener“, sagt er. Software wird für Autohersteller zu einem wichtigen Unterscheidungskriterium gegenüber dem Wettbewerb, zugleich bindet sie diese aber auch stärker an vorhandene Ökosysteme. Die Dynamik auf dem Mobilitätsmarkt macht eine gemeinsame, offene und flexible Softwareplattform nötig, an die Zulieferer, App-Entwickler und Ökosysteme von Drittanbietern andocken können: „Nehmen Sie den PC, das Smartphone oder das Rechenzentrum – es gibt mittlerweile eine offene softwaredefinierte Plattform, an der sich viele Anbieter beteiligen können. Ich denke, das ist der Ansatz, bei dem wir als Partner zusammenarbeiten werden, und wir sind sehr gespannt“, so Nadella. Durch offene Schnittstellen können Apps von Partnerunternehmen in die Fahrzeuge integriert werden, woraus sich neue Möglichkeiten über das Ökosystem der Anbieter ergeben. Über die Apps können Nutzerinnen und Nutzer etwa ihr Smart Home steuern und beispielsweise einzelne Räume kurz vor ihrer Ankunft vorheizen.
KI hilft Software beim Lernen und macht Geräte intelligent
Doch nicht nur die Mobilität, auch die Softwareentwicklung ist im Wandel: „Wenn man früher an Softwareentwicklung dachte, hatte man Menschen vor Augen, die Codezeilen schreiben. Bei Software 2.0 trainiert man hingegen die Software, damit sie aus Daten lernt“, sagt Nadella. Daraus resultiert die Fähigkeit zu prädikativem und beiläufigem Schlussfolgern. Künstliche Intelligenz kommt künftig auch in immer mehr Alltagsgeräten zum Einsatz. Kombiniert man KI mit dem Internet der Dinge, führt das zu neuen Möglichkeiten: „Es wird intensiv daran gearbeitet, die Möglichkeiten von KI, IoT und Sensoren mit einem datengesteuerten Ansatz für die Softwareentwicklung zu nutzen, was meiner Meinung nach eine ziemlich tiefgreifende Veränderung bedeuten wird“, so Nadella. Auf diese Weise wird eine neue Generation vernetzter und intelligenter Geräte und Services entstehen, die Daten direkt in den Produkten oder in der Cloud analysieren. Ein vernetztes Auto kann beispielsweise Daten zum technischen Fahrverhalten in die Cloud senden, die dort analysiert und anschließend mit dem Feedback von Kundinnen und Kunden kombiniert werden, das Autohersteller über diverse Kanäle wie Social Media erreicht. Dadurch entsteht ein aufschlussreiches Gesamtbild, das die Hersteller bei der Verbesserung von Fahrzeugmodellen und künftigen Design-Prozessen unterstützen kann.
Kooperationen schaffen Innovationen
Die branchenübergreifende Zusammenarbeit ist ein wichtiges Element von Nadellas Führungsstil. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Microsoft seine Office-Programme auf den Plattformen von Apple und Google verfügbar macht. Im Jahr 2016 trat das Unternehmen der Linux Foundation bei und übernahm 2018 GitHub, ein beliebter Code-Repository-Dienst, der von zahlreichen Entwicklern und Unternehmen genutzt wird und auf dem viele Open-Source-Projekte stattfinden. Bosch kooperiert in mehreren Projekten mit Microsoft. „Es ist wirklich ein Privileg, mit Bosch zusammenzuarbeiten“, sagte Nadella. „Bosch hat eine lange Tradition in der Entwicklung hervorragender Produkte und Technologien, die sich – wie ich es nennen möchte – auf grundlegende Prinzipien stützt.“
Beide Unternehmen entwickeln gemeinsam eine Softwareplattform für die nahtlose Integration zwischen Autos und der Cloud. Im industriellen Bereich arbeiten die beiden Partner zudem in der Open Manufacturing Platform zusammen, einer Allianz, in der Unternehmen ihre Erfahrungen, Datenmodelle und Lösungen teilen, um Fertigungsinnovationen im großen Maßstab zu beschleunigen. Angesichts wachsender Software-Ökosysteme werden solche Kooperationen künftig an Bedeutung gewinnen.
Satya Nadella, 53
Chairman und CEO von Microsoft
Satya Nadella ist Chairman und Chief Executive Officer von Microsoft. Bevor er im Februar 2014 zum CEO ernannt wurde, besetzte Nadella Führungspositionen sowohl im Unternehmens- als auch im Privatkundengeschäft des Unternehmens.
Als Nadella 1992 als Führungskraft zu Microsoft kam, machte er sich schnell einen Namen, da er durch seine Erfahrung in zahlreichen Technologie- und Geschäftsbereichen einige der größten Produktangebote von Microsoft umgestalten konnte. Zuletzt war Nadella Executive Vice President der Cloud and Enterprise Group von Microsoft. In dieser Funktion war er für die Umstrukturierung im Bereich Cloud-Infrastruktur und -Dienste verantwortlich, der sich überdurchschnittlich gut entwickelte und dem Wettbewerb Marktanteile abnahm. Zuvor leitete Nadella den Bereich Forschung und Entwicklung für die Online Services Division und war Vizepräsident der Microsoft Business Division. Bevor er zu Microsoft kam, war Nadella bei Sun Microsystems tätig.
Nadella stammt ursprünglich aus Hyderabad, Indien, und lebt in Bellevue, Washington. Er erwarb an der Universität Mangalore einen Bachelor-Abschluss in Elektroingenieurwissenschaften, an der University of Wisconsin – Milwaukee einen Master-Abschluss in Computerwissenschaften und an der University of Chicago einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre. Nadella ist Mitglied des Kuratoriums des Fred Hutchinson Cancer Research Center und seiner ehemaligen Universität, der University of Chicago, sowie des Verwaltungsrats von Starbucks.