Die Digitalisierung des Alltags
Im Gespräch mit dem Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom
04.06.2021
Claudia Nemat aus dem Vorstand der Deutschen Telekom erklärt, warum die COVID-19-Pandemie die Digitalisierung beschleunigt hat und wie 5G die Vernetzung verbessern wird.
Als im März 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, mussten Millionen Beschäftigte binnen kurzer Zeit ins Home-Office wechseln. Im Netz der Deutschen Telekom stieg der Datenverkehr deutlich an: Die Quote der Videokonferenzen schoss um rund 300 Prozent nach oben, und infolge der Corona-Einschränkungen stieg auch die Zahl der Video-Stream-Partys, bei denen Serien gestreamt und gleichzeitig darüber in Gruppen gechattet wird, um knapp 3 000 Prozent. Wie konnte das Datennetz diesem Ansturm standhalten? „Das war das Ergebnis der vergangenen Investitionen in die Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere die digitale Transformation der Netzwerke“, sagt Claudia Nemat. Sie ist im Vorstand der Deutschen Telekom für das Ressort Technologie und Innovation zuständig.
Dass die Umstellung auf das Home-Office vielerorts relativ reibungslos verlief, lag laut Nemat aber auch daran, dass zahlreiche Unternehmen bereits Jahre zuvor solche flexiblen Arbeitsmodelle für ihre Beschäftigten eingeführt hatten. Die Deutsche Telekom schickte allein in Deutschland 16 000 Mitarbeitende ins Home-Office. Dennoch hat sie gemeinsam mit Partnerunternehmen die Corona-Warn-App entwickelt. „Wir haben es geschafft, dieses Projekt komplett virtuell durchzuführen. Die daran arbeitenden Teams haben sich nie persönlich getroffen – und es hat dennoch funktioniert“, so Nemat.
Um 3 000 Prozent
stieg die Zahl der Video-Stream-Partys im Netz der Deutschen Telekom während der ersten Corona-Einschränkungen in Deutschland im Frühjahr 2020.
5G beschleunigt die Industrie 4.0
Für Claudia Nemat zeigt die Pandemie, wie wichtig zuverlässige Internetverbindungen inzwischen für viele Lebensbereiche sind. „Die öffentliche Wertschätzung von resilienter Infrastruktur ist dramatisch gestiegen“, sagt sie. „Unsere Netze sind trotz großer Belastungen stabil und sicher gewesen.” Der Ausbau des Mobilfunkstandards 5G sei nun der nächste Schritt auf dem Weg der Digitalisierung. „Unser schnell wachsendes 5G-Netz bringt Highspeed-Konnektivität für über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung. Und für Unternehmen bietet 5G neue Möglichkeiten für das Internet der Dinge und Industrie 4.0“, sagt Nemat. Die Deutsche Telekom installiert für Unternehmen bereits sogenannte „Campus-Netze“.
Das sind exklusive 5G-Mobilfunknetze, die auf ein lokal definiertes Gelände beschränkt sind. In der Industrie ermöglichen sie etwa den Einsatz von selbstfahrenden Shuttles, die Material transportieren. Das ist möglich, weil die erhöhten Netzwerkgeschwindigkeiten von 5G die Reaktionszeiten verkürzen und damit Echtzeit-Kommunikation zwischen Geräten erlauben. Im Gesundheitswesen vernetzt die Deutsche Telekom komplette Krankenhäuser mit 5G und ermöglicht so den Austausch großer Datenmengen – wie Computertomografie-Scans – zwischen den Stationen.
Schnelleres Gaming durch 5G
Auch im privaten Umfeld wird 5G Vorteile bringen. Claudia Nemat erwartet, dass die Zahl der smarten Alltagsgeräte mit einer integrierten künstlichen Intelligenz durch den schnelleren Mobilfunkstandard steigen wird. Auch die Unterhaltungselektronik profitiert von der hohen Datenrate: „Aufgrund der sehr guten Latenzzeit werden wir eine noch stärkere Verschmelzung der digitalen mit der physischen Realität erleben“, so Nemat. Die Latenzzeit beschreibt die Zeitspanne, in der ein Datenpaket von einem Sender zu einem Empfänger gelangt. Dabei kann es sich beispielsweise um den Datenaustausch zwischen einem Smartphone und einem Server handeln.
In 4G-Netzen liegt die Latenzzeit zwischen 60 bis 98 Millisekunden, in 5G-Netzen beträgt sie dagegen nur 1 bis 10 Millisekunden. Der Geschwindigkeitsunterschied ist enorm: Während die Übertragung eines DVD-Inhaltes mit einer Größe von 4,5 Gigabyte in einem 4G-Netz 1 Minute und 13 Sekunden dauert, lässt sich dieselbe Datenmenge mit 5G in nur 3,7 Sekunden übertragen. Deshalb ermöglicht 5G deutlich flüssigeres Cloud und Mobile Gaming. „Wenn Sie mit Ihrem Avatar spielen, wird es sich erstaunlich real anfühlen. Wir werden deshalb mehr Augmented- und Virtual-Reality-Formate sehen“, sagt Nemat.
Unternehmen kooperieren beim Smart Home
Die Digitalisierung wird unsere Arbeits- und Lebenswelt in den nächsten zehn Jahren wesentlich komfortabler machen, sagt Claudia Nemat: „Ich glaube, dass wir eine Massendemokratisierung von Services erleben, die in der Vergangenheit das Privileg von ein paar wenigen waren. Wir reden hier von Robotern, Küchenrobotern und der Verbreitung von kostengünstigen Geräten, die im Alltag unterstützen.“ Sie vergleicht die kommende Digitalisierungswelle mit dem Einzug der Wasch- und Spülmaschinen in die Haushalte, wodurch das Leben für viele Menschen einfacher wurde.
Künftig wird das eigene Zuhause immer mehr zum Smart Home, in dem intelligente Geräte von unterschiedlichen Herstellern nahtlos miteinander kommunizieren. Aus diesem Grund spielen Kooperationen zwischen den Herstellern von smarten Produkten eine zunehmend wichtige Rolle. Bosch und weitere Partner arbeiten bereits in dem Partnernetzwerk „Home Connect Plus“ zusammen. Über die gleichnamige Technologie-Plattform können vernetzte Geräte und Services in einem Smart Home zentral über eine App gesteuert werden – statt über mehrere Apps.
EU-Cloud für mehr Datensouveränität
Aufgrund der zunehmenden Vernetzung des Alltagslebens, wird auch die Datensicherheit und der Schutz der Privatsphäre immer wichtiger. Zum einen müsse jede Person selbst dazu beitragen, indem sie sichere Passwörter verwendet und regelmäßig Softwareupdates durchführt, erklärt Claudia Nemat. Zum anderen sei es aber auch die Aufgabe von Unternehmen, vernetzte Produkte am Menschen und seinen Bedürfnissen auszurichten. Nemat spricht in diesem Zusammenhang von Datensouveränität: „Das bedeutet, dass ich als Person, als Institution oder als Unternehmen entscheiden kann, mit wem ich meine Daten teilen möchte, zu welchem Zweck und für wie lange.“ Deshalb setzt Nemat auf Initiativen wie GAIA-X.
Das Projekt, an dem auch die Deutsche Telekom und Bosch beteiligt sind, soll eine europäische Cloudinfrastruktur aufbauen, die ihre Datenströme gemäß der europäischen Datenschutz-Grundverordnung schützt. Darüber hinaus hat die Deutsche Telekom bereits im Jahr 2018 als einer der ersten Konzerne weltweit ethische Leitlinien für ihren Umgang mit künstlicher Intelligenz aufgestellt. „Ein KI-System darf niemals eine Blackbox sein. Am Ende muss es immer eine Gruppe von Menschen geben, die für das Ergebnis verantwortlich ist, egal wie dieses ausfällt”, erklärt Claudia Nemat.
Das Netz wird grün
Neben dem Datenschutz ist auch die ökologische Verantwortung in den Fokus der Deutschen Telekom gerückt. „Wir sehen, dass unsere Industrie einen wesentlichen Beitrag zu den CO₂-Emissionen leistet. Deshalb haben wir beschlossen, uns auf den Weg zur Klimaneutralität zu begeben“, sagt Claudia Nemat. Seit vergangenem Jahr bezieht das Unternehmen in Deutschland seinen Strom komplett aus erneuerbaren Energiequellen. Zum Ende dieses Jahres will die Deutsche Telekom weltweit nur noch grünen Strom nutzen.
Bei ihrer Nachhaltigkeitsstrategie setzt sie unter anderem auf Elektrofahrzeuge, den Betrieb von Solaranlagen und umweltfreundliche Produkte. Dabei bezieht sie auch ihre Zulieferer ein und macht diesen genaue Vorgaben. „Ich bin der Meinung, dass jedes Unternehmen einen großen Beitrag zu Nachhaltigkeitsthemen leisten sollte“, so Nemat.
Sehen Sie das Webinar mit Claudia Nemat im Rahmen der BCW.on 2021: The digital future is now – let’s shape it
Im Fokus
Claudia Nemat, 52
Vorstandsmitglied für Technologie und Innovation bei der Deutschen Telekom
Die Technologien der Zukunft müssen nachhaltig, sicher und offen sein.
Claudia Nemat hat Physik studiert und war danach Dozentin am Institut für Mathematik und Theoretische Physik an der Universität Köln. Vor ihrer Zeit bei der Telekom arbeitete sie 17 Jahre lang für die Unternehmensberatung McKinsey & Company, unter anderem als Co-Leiterin des weltweiten Technologiesektors. Seit 2011 ist sie Mitglied im Vorstand der Deutschen Telekom und leitete bis Ende 2016 das Europageschäft. Seitdem ist sie für das Ressort Technologie und Innovation zuständig. Zu ihren Schwerpunkten zählen unter anderem die digitale Transformation, die Auswirkungen von neuen Technologien auf das Arbeits- und Alltagsleben, Produktinnovationen sowie Sicherheits- und Krisenmanagement.
Fazit:
Durch den Ausbau des 5G-Netzes schreitet die Digitalisierung weiter voran. Laut Claudia Nemat wird es in den nächsten zehn Jahren zu einer Massendemokratisierung von Services kommen, die in der Vergangenheit ein Privileg von wenigen waren. Zugleich rücken Datenschutz und Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus.