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Forschung

Gutes geht noch besser

Die Entwicklung von MEMS-Sensoren ist komplex. Dass generative Algorithmen beim Design der technologischen Kleinstteile erfolgreich eingesetzt werden können, bewies ein Team der Bosch Forschung.

MEMS Sensoren auf Handfläche

Unfreiwillig verwackelte Bilder sind in Zeiten von Smartphone-Kameras selten geworden. Das hat mit winzig kleinen Sensoren zu tun, die in den intelligenten Telefonen verbaut sind: MEMS (mikroelektromechanische Systeme). Sie erkennen beispielsweise das Zittern der telefonhaltenden Hand oder andere Bewegungen mittels eines Drehratensensors sowie Beschleunigungsmessers und ermöglichen die optische Bildstabilisierung. Und MEMS können noch mehr: Im Auto werden sie für Sicherheitsfunktionen verwendet. Auf Basis der Sensorensignale entscheidet das Steuergerät, ob ein Airbag ausgelöst wird oder die elektronische Stabilitätskontrolle (ESP) etwas tut. Auch im Gesundheitswesen sind MEMS-Komponenten im Einsatz, etwa in zeitgemäßen Diagnoseinstrumenten wie der von Bosch entwickelten Plattform Vivalytic, bei der eine mit MEMS hergestellte Struktur zum Einsatz kommt, und der BioMEMS-Technologie, bei der die MEMS-Technologie mit Mikrobiologie verknüpft wird.

Bosch ist einer der weltweit größten Anbieter von MEMS-Sensoren für Fahrzeuge und für den Bereich der Unterhaltungselektronik. Mehr als vier Millionen dieser Mini-Sensoren produzieren die Mitarbeitenden täglich. Auch bezogen auf den gesamten MEMS-Markt belegt Bosch Platz 1. Die MEMS-Technologie ist eine herausfordernde Aufgabe, denn: „MEMS sind trotz ihrer geringen Größe in Entwicklung und Herstellung unglaublich komplex und erfordern ein hohes Maß an Präzision und Fachwissen“, sagt Matthias Wenzel, Forschungsingenieur bei Bosch Research und seit Jahren mit der Weiterentwicklung von Tools und Methodiken im MEMS-Design betraut. Der promovierte Quantenphysiker erklärt: „Diese ausgeklügelten mechanischen Geräte müssen eine Vielzahl von strengen Anforderungen erfüllen, um auf dem Markt erfolgreich zu sein.“ Entscheidende Parameter für diesen Erfolg sind die Entwicklungskosten ebenso wie die Zeit bis zur Markteinführung. Schon längst werden modernste Algorithmen fürs Konstruieren der MEMS, also das Design, eingesetzt. Mit generativer KI (englisch: generative AI, kurz GenAI) taucht nun neues Potenzial auf. Damit könnte die Entwicklung schneller und damit ressourcen- und kosteneffizienter ablaufen.

Nahaufnahme der Mikrochip-Architektur
Der „Bosch-Prozess“ ermöglicht, hochpräzise Strukturen in einen Silizium-Wafer zu ätzen. Die 1994 patentierte Technologie diente als Grundlage für den Aufbau des MEMS-Sensorgeschäfts (Mikroelektromechanische Systeme) bei Bosch.

Domänenwissen trifft auf Methodenkompetenz

Matthias Wenzel und sein Team schlossen sich mit Paul Baireuther, Forschungsingenieur aus der KI-Forschung bei Bosch, zusammen. Gemeinsam mit Bosch MEMS-Design aus der Abteilung von Mirko Hofmann in Reutlingen entwickeln sie eine automatisierte Toolchain für MEMS-Design und -Optimierung. Dabei nutzen sie moderne Algorithmen für die lokale Optimierung der MEMS-Strukturen und GenAI, um neue Topologien für kritische Teile des Designs zu erstellen, also für die Grundstruktur des Sensors. „Unser innovativer Ansatz verspricht, den Designprozess zu revolutionieren, und bietet einen Blick in eine Zukunft, in der KI die menschlichen Fähigkeiten noch besser unterstützen und damit die Ergebnisqualität deutlich steigern kann“, sagt Matthias Wenzel. Warum dieser Aufwand, wenn Bosch einer der weltweit größten Anbieter ist? „Bezogen auf den gesamten MEMS-Markt, also nicht nur MEMS-Sensoren, steht Bosch an erster Stelle“, sagt Matthias Wenzel, „aber wir erkennen, dass KI das Potenzial hat, ganze Industriezweige zu revolutionieren“. Es geht darum, den Vorsprung zu wahren und die Leistungsfähigkeit der Sensoren weiter zu steigern.

Zwei Männer arbeiten gemeinsam an einem Laptop
Paul Baireuther (links) und Matthias Wenzel (rechts) arbeiten gemeinsam daran, GenAI im MEMS-Bereich zu etablieren.

Vielfalt durch Varianz

Um die Machbarkeit des Ansatzes zu beweisen, konzentrierte sich das Team auf eine Komponente der MEMS. Allein ein kleines Stück Silizium wie dieses zu entwickeln ist eine komplexe Aufgabe, die Wochen oder gar Monate manueller Änderung der Topologie und lokaler Optimierung erfordert. Aus aktueller Forschungsarbeit hatte das Team mehrere Designentwürfe als Vergleich zu den KI-Vorschlägen parat. Ergebnis: Ihr maßgeschneiderter generativer Algorithmus konzipierte in nur wenigen Tagen einen völlig neuen Topologieansatz, der neue Lösungsräume bietet, um spezielle Produkteigenschaften weiter zu verbessern.

Auch der Entwurfsprozess an sich kann mit GenAI stark verbessert werden. Herkömmliche Optimierungsverfahren eignen sich gut für die lokale Optimierung, aber da ihnen stets ein Entwurf der Ingenieurin oder des Ingenieurs zugrunde liegt, sind sie begrenzt. Wenn also der Mensch eine Designmöglichkeit von vornherein ausgeschlossen oder aber gar nicht daran gedacht hat, könnte eine Entwicklung übersehen werden oder viel später erfolgen. Im Gegensatz dazu kann ein KI-gestützter Topologie-Generator innerhalb kurzer Zeit Tausende von verschiedenen Entwürfen erstellen und evaluieren, und damit weitaus mehr Möglichkeiten abdecken, als sich ein menschlicher Konstrukteur oder Konstrukteurin vorstellen kann. Der Algorithmus erstellt auf der Grundlage definierter Anforderungen eine Reihe von optimierten Entwürfen, aus denen die Ingenieurin oder der Ingenieur den besten auswählen kann.

Vom Konzept zur Realität

Derzeit befindet sich der Ansatz von Matthias Wenzel und seinem Team noch in der Anfangsphase. Den ersten Machbarkeitsbeweis haben sie erbracht. Die nächsten Schritte sind klar: Die mithilfe ihres Algorithmus generierte MEMS-Komponente wird auf einen Siliziumwafer gebracht und im Jahr 2025 in ein Produkt integriert. Die Marktreife ist für 2027 anvisiert. Das Potenzial der Methode geht dabei über einzelne Komponenten hinaus. In naher Zukunft soll sie auf das gesamte MEMS-Spektrum angewendet werden. „Die Reise hat gerade erst begonnen“, sagt Matthias Wenzel, „aber GenAI im MEMS-Design wird unbestreitbar die Art und Weise verändern, wie wir die winzigen Geräte entwickeln, die unsere moderne Welt antreiben.“

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