Harry Potter und die „Karte des Rumtreibers“
Lässt sich die Zauberkarte technisch realisieren?
Im Harry Potter Film „Harry Potter und der Gefangene von Azkaban“ (Warner Bros. Entertainment) zeigt die „Karte des Rumtreibers“, wer sich gerade wo in der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufhält. Bosch-Expertin Kejia Wang erklärt, ob und wie eine vergleichbare Karte in unserer nichtmagischen Welt funktionieren kann.
Harry Potter
Die Geschichte um Harry Potter wurde von Millionen verfolgt, das Zauber-Universum von Hogwarts weltberühmt. Mithilfe seiner zwei besten Freunde, Hermine und Ron, und allerlei magischen Wesen und Gegenständen nimmt Harry den Kampf gegen den finsteren Magier Lord Voldemort und seine Gefolgsleute auf, die die Herrschaft über die Welt der Zauberer erlangen wollen. Eine von Harrys bekanntesten Utensilien ist die „Karte des Rumtreibers“, die ihren ersten Auftritt in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ (Warner Bros. Entertainment) hatte. Wer die Karte mit dem Zauberstab berührt und den Zauberspruch „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin“ spricht, dem zeigt sie die Aufenthaltsorte aller Personen an, die sich gerade in Hogwarts befinden und in welche Richtung sich diese gerade bewegen. Harry und seine Freunde nutzen die Karte beispielsweise, um ungewollte Begegnungen zu vermeiden, wenn sie verborgene Räume entdecken oder sich nachts heimlich vom Schulgelände stehlen.
Ja, so eine Karte könnte man mithilfe eines speziellen Algorithmus und Sensoren wirklich realisieren.
Prinzip aus der Seefahrt
Hinter der Technik, durch die die „Karte des Rumtreibers“ in unsere „Muggelwelt“ übertragen werden kann, steckt ein Zusammenspiel von Software und Bewegungssensoren: „Damit ausgestattete Geräte können ihre Position bestimmen und diese an einen Empfänger senden, wodurch sie auf einer digitalen Karte sichtbar werden“, sagt die Expertin Kejia Wang von Bosch Sensortec. Auch Echtzeitbewegungen kann man darauf erkennen. Das Grundkonzept dieser Technik stammt ursprünglich aus der Schifffahrt: Dort setzte man das sogenannte „Dead Reckoning“, die Koppelnavigation, schon vor Jahrhunderten ein.
Wenn die Position eines Schiffes bekannt war, später jedoch Wolken den Sternenhimmel verhängten oder Nebel die Navigation unmöglich machte, ließen die Seeleute ein bleibeschwertes Holzbrett an einer Leine ins Wasser, in die in gleichmäßigem Abstand Knoten geknüpft waren. Nach einer bestimmten Zeit wurde die Leine eingeholt, anhand der abgelaufenen Knoten ließ sich dann die Fahrtgeschwindigkeit errechnen. Die Fahrtrichtung ermittelten sie per Kompass. Diese Daten kombinierten sie mit ihrer Fahrtzeit und konnten daraufhin bestimmen, wo sie sich auf der Karte befanden.
PDR schont den Akku
Heute arbeitet Bosch an der Pedestrian Dead Reckoning Software, kurz PDR, um beispielsweise Joggern oder Touristen mithilfe von sogenannten Wearables, wie einer Smartwatch, die Orientierung zu erleichtern. „Damit dies funktioniert, muss man bestimmte Sensoren und einen PDR-Algorithmus bei sich tragen“, erklärt Kejia Wang. Zusammen mit weiteren Softwarespezialisten aus ihrem Team hat sie einen entsprechenden Sensor entwickelt, der klein genug ist, um sogar in einer Smartwatch Platz zu finden. Der sogenannte Position Tracking Smart Sensor BHI160BP bestimmt die Position nicht nur in Außenbereichen, sondern auch in Innenräumen – ein großer Vorteil gegenüber dem GPS-Signal, das in Gebäuden oft sehr schwach ist.
Hier spielt das PDR-System von Bosch eine seiner Stärken aus: Es benötigt zur Positionsbestimmung kein durchgängiges WiFi- oder GPS-Signal. Sobald das Gerät erkannt hat, wo es sich befindet, führt es die weitere Positionsbestimmung mittels eines Gyroskop- und eines Bewegungssensors durch. Der Smart Sensor misst die Bewegungen seines Trägers, um sich zu lokalisieren. Möglich macht dies der von Bosch entwickelte Algorithmus: Er berechnet die Position anhand der Laufrichtung, der Schrittlänge und der verstrichenen Zeit. Ein weiterer Vorteil des Systems ist der geringe Energieverbrauch: „Weil die Positionserkennung nicht mehr über ein globales Navigationssatellitensystem, sondern über eingebaute Bewegungssensoren geschieht, verbraucht der Smart Sensor bis zu 80 Prozent weniger Strom als herkömmliche GPS-Geräte“, verdeutlicht Wang. Das schont den Akku und ist daher vor allem in Geräten mit kleinen Batterien sehr nützlich.
Der Zauber im Alltag
Die Anwendungsmöglichkeiten des Position Tracking Smart Sensors sind vielfältig: Im Sportbereich kann es in Pulsuhren oder Fitness-Trackern zum Einsatz kommen. Mithilfe des Systems können sich seine Träger aber auch in Museen oder Einkaufszentren ihren Standort auf einer virtuellen Karte anzeigen lassen. Unternehmen können ihre Sicherheit verbessern, indem sie beispielsweise Besuchern von außerhalb ein PDR-System mit Sender mitgeben, dessen Standort auf einem Bildschirm markiert wird. Das PDR kann sogar noch mehr als die „Karte des Rumtreibers“: Während Harry Potter lediglich sehen kann, in welche Richtung sich eine Person bewegt, kann der Smart Sensor durch Auswertung der Sensordaten zwischen Gehen, Laufen oder Stehen unterscheiden.
Im Fokus
Kejia Wang, Systemingenieurin bei Bosch Sensortec
Kejia Wang hat bis 2012 Biomedizinische Ingenieurswissenschaften an der University of Auckland in Neuseeland studiert und promovierte 2018 im Bereich der Biomedizinischen Forschung an der University of New South Wales in Sydney, Australien. Wang kam 2017 zu Bosch Sensortec und ist dort als Entwicklerin von Software zur Sensordatenfusion tätig. Seit Anfang 2018 unterstützt sie das Team in der Entwicklung der Pedestrian Dead Reckoning Software.
Fazit
Science-Fiction? Nein, Science-Fact: Die „Karte des Rumtreibers“ aus „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ (Warner Bros. Entertainment) ist keine Zauberei, sondern technisch machbar. Statt auf GPS alleine setzt die Bosch-Lösung auf eine Kombination aus GPS und einem PDR-Algorithmus mit Bewegungssensoren. Dieses System funktioniert auch in Innenräumen, spart Energie und benötigt keine permanente WiFi- oder GPS-Verbindung.