Künstliche Intelligenz als Motor für den Fortschritt
Im Gespräch mit dem Robotik-Experten
27.07.2020
Sebastian Thrun ist sich sicher: Künstliche Intelligenz kann unseren Alltag revolutionieren – aber es gibt noch Herausforderungen. Für eines der größten Probleme bietet er bereits eine Lösung.
Sebastian Thruns Lebenslauf liest sich wie ein Tech-Märchen. In jungen Jahren zog der Robotik-Spezialist aus Deutschland in die USA. Er wurde Professor an der Eliteuniversität Stanford und wechselte dann zu Google. Dort leistete er Pionierarbeit und half dabei, ein selbstfahrendes Auto zu entwickeln. Später gründete er eine Online-Universität – und heute leitet der 52-Jährige die Firma Kitty Hawk, die Flugtaxis entwickelt. Thrun, so scheint es, ist dem Fortschritt immer ein Stückchen voraus. Was denkt einer wie er über Künstliche Intelligenz (KI)? „Ich denke, dass KI eine ebenso große Veränderung für die Welt bedeutet, wie früher die Dampfmaschine“, sagt er. Ebenso wie die Dampfmaschine werde auch die KI den Menschen in der Arbeitswelt nicht ersetzen, sondern ihm viele Tätigkeiten erleichtern und so eine bessere Produktivität ermöglichen.
KI schaut und lernt
Seinen Optimismus gründet Thrun in der rasanten Entwicklung von KI. Vor knapp fünf Jahren mussten Programmierer ihre KI-Systeme noch mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen füttern, damit diese Aufgaben bewältigen konnten. Heute lernen die smarten Maschinen wie wir Menschen – durch Beobachtung und Nachahmung. „Es gibt großartige Möglichkeiten, Künstliche Intelligenz in vielen Berufen einzusetzen. Wenn das geschieht, werden Menschen effizienter arbeiten als zuvor,“ sagt Thrun.
Er macht das an einem Praxisbeispiel deutlich: Zusammen mit Studenten der Universität Stanford hat er einen Algorithmus mit 130 000 Bildern von Hauterkrankungen trainiert. Über eine Smartphone-Kamera kann dieser nun Hautkrebs so zuverlässig erkennen wie ein Facharzt – eine große Hilfe, um Mediziner zu entlasten und Menschen eine Diagnose zu ermöglichen, die aufgrund ihrer räumlichen Entfernung oder finanziellen Mittel keinen oder nur begrenzt Zugang zu einer ärztlichen Untersuchung haben.
So bekämpft er den Fachkräftemangel
Mit seiner Online-Universität Udacity will Thrun eines der größten Probleme im Zusammenhang mit KI lösen: den Fachkräftemangel. Denn um die Potenziale von KI auszuschöpfen und weiterzuentwickeln, braucht es gut ausgebildete Programmierer – doch davon gibt es weltweit zu wenig. Deshalb gründete Thrun 2012 mit Udacity eine Plattform, über die er seine KI-Vorlesung aus Stanford streamte. Binnen weniger Wochen sahen knapp 160 000 Studierende aus aller Welt die Videos. 23 000 von ihnen bestanden den abschließenden Online-Test. Inzwischen bietet Udacity solche Weiterbildungskurse kostenpflichtig zu verschiedenen Bereichen in der Informatik und in Natur- und Wirtschaftswissenschaften an. Dabei handelt es sich nicht um klassische Fernstudiengänge, an deren Ende ein Diplom steht, sondern um Einzelkurse, in denen Fachwissen für die praktische Umsetzung vermittelt wird. Die Zahl der bisherigen Kursteilnehmer liegt bei rund zehn Millionen. „Udacity ist inzwischen Marktführer für die berufliche Weiterbildung bei Künstlicher Intelligenz. Viele Unternehmen arbeiten mit uns zusammen,“ so Thrun. Ein Programmierer mit Vorkenntnissen, sagt er, könne durch Udacity binnen eines halben Jahres zum KI-Experten ausgebildet werden.
50 Prozent
weniger Ausgaben für Mobilität: einem durchschnittlichen Europäer
könnten selbstfahrende Shuttelservices viel Sparpotential bieten.
Das Milliardengeschäft mit den Robotaxis
Neben der künstlichen Intelligenz ist Mobilität die zweite Leidenschaft von Sebastian Thrun. Er hat beides miteinander verbunden und gründete mit „Waymo“ 2016 bei Google die Abteilung für automatisierte Fahrzeuge. Technisch seien fahrerlose Autos längst möglich und erheblich sicherer als von Menschen gesteuerte Fahrzeuge, so Thrun. Nun gehe es darum, die entsprechenden Geschäftsmodelle zu kreieren und wortwörtlich auf die Straße zu bringen: „Ich denke, das eigentliche Geschäft für selbstfahrende Autos liegt in automatisierten Taxi-Services. Mit einem solchen Geschäftsmodell ist es möglich, die Transportkosten um 50 Prozent zu senken.“ Das ist möglich, weil ein automatisiertes Shuttle intensiv ausgelastet werden könnte. Es befördert ständig Kunden und ist nicht die meiste Zeit des Tages geparkt, wie dies heute bei fast allen Privatfahrzeugen der Fall ist.
Elektrisch und leise sollen die Lüfte erobert werden
Doch Thrun will in punkto Mobilität noch höher hinaus. Als CEO der US-Firma Kitty Hawk arbeitet er mit seinem Team an Flugtaxis. Mit dem „Heaviside“ hat er im vergangenen Herbst seinen dritten flugfähigen Prototyp vorgestellt. Er hat eine Reichweite von 170 Kilometern und kann mittels Schwenkpropellern senkrecht starten und landen. Besonders fortschrittlich ist laut Thrun der angeblich fast lautlose Elektromotor: „Wenn wir damit in 300 Metern Höhe über Ihnen fliegen, hören Sie davon nichts. Das ist neu, das ist wirklich ein Durchbruch.“
Grundsätzlich befänden sich Flugtaxis noch in einem frühen Stadium, so Thrun. „Doch sobald diese in unserem Alltag ankommen – etwa in zehn Jahren – werden sie schneller und sicherer sein als Autos.“ Schon jetzt könne Heaviside die 50 Kilometer von San Jose nach San Francisco in etwa 15 Minuten zurücklegen – mit dem Auto dauert das etwa eine Stunde. Werden wir in Zukunft also öfter fliegen statt fahren? So weit möchte Thrun nicht gehen, aber er glaubt an einen stärkeren Mobilitätsmix aus Fortbewegung zu Lande und in der Luft. Eines steht für ihn fest: Ob Auto oder Flugtaxi – in beiden Fällen wird eine KI am Steuer sitzen.
Sebastian Thrun, Robotik-Experte und CEO von Kitty Hawk im Interview
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Im Fokus
Dr. Sebastian Thrun, 53
Robotik-Experte und CEO von Kitty Hawk
Eines der erstaunlichsten Dinge heutzutage ist, dass Computer durch maschinelles Lernen selbständig lernen können.
Sebastian Thrun wuchs im nordrhein-westfälischen Solingen auf und studierte Informatik, Wirtschaft und Medizin an den Universitäten in Hildesheim und Bonn. Seit 1995 arbeitet er in den USA, zunächst an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh und ab 2003 als Professor an der Eliteuniversität Stanford. Ein Jahr später wurde er zum Direktor des Stanford Artificial Intelligence Laboratory ernannt.
2011 gab er seine Professur auf und wechselte als Vice President zu Google. Dort gründete er die Forschungsabteilung Google X, in der Innovationen wie die „Street-View-Autos“ und Google Glass entstanden. 2012 öffnete Thrun die Türen der Online-Universität Udacity und wurde von der US-Fachzeitschrift „Foreign Policy“ auf Platz zwei der „100 einflussreichsten Denker der Welt“ gelistet. Seit 2018 ist Sebastian Thrun CEO der Flugtaxi-Firma Kitty Hawk.
Fazit
Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz können wir deutlich effizienter arbeiten, sagt Sebastian Thrun. Außerdem mache KI in selbstfahrenden Shuttles und automatisierten Flugtaxis die Mobilität sicherer und schneller. Der Fachkräftemangel ist derzeit aber eine große Herausforderung. Deshalb bietet Thruns Online-Plattform Udacity unter anderem Kurse zur KI an.