Wie Unternehmen mit Künstlicher Intelligenz und IoT durchstarten
Im Gespräch mit dem Technologievorstand von Siemens
20.07.2020
Viele Industrieunternehmen setzen die Digitalisierung nicht konsequent genug um oder schieben sie auf. Dabei riskieren sie, abgehängt zu werden. Roland Busch erklärt, wie der Wandel gelingen kann.
Zu langsam in der Umsetzung
Durch die Digitalisierung bricht für die Industrie ein neues Zeitalter an. Intelligente Maschinen sind im Internet der Dinge (IoT) vernetzt, wodurch detaillierte Fertigungsdaten gewonnen werden. Diese Datenmengen sind meist riesig, lassen sich aber mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) auswerten, um so Fertigungsprozesse zu optimieren. Das spart Zeit, Geld und Energie. Daneben kommt KI auch in Industrierobotern zum Einsatz, die über das IoT mit ihrem Umfeld kommunizieren. Eine Umfrage der Beraterfirma Gartner aus dem vergangenen Jahr ergab, dass 37 Prozent der weltweiten Firmen Künstliche Intelligenz einsetzen. Die Zahl der KI-Anwendungen in den Betrieben hatte sich demnach zwischen 2018 und 2019 verdreifacht. Eine positive Entwicklung, würde man meinen. Roland Busch, Technologievorstand von Siemens, sieht das jedoch anders: „Wenn Sie mich fragen, ob ich mit dieser Entwicklung zufrieden bin, würde ich definitiv sagen, dass es schneller gehen kann.“ Schaut man nämlich genauer hin, zeigt sich, dass der Einsatz dieser Schlüsseltechnologie in vielen Industrienationen eher die Ausnahme als die Regel ist.
Das Problem mit den Fachkräften
So ergab eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2019, dass in Deutschland nur knapp sechs Prozent der Firmen Künstliche Intelligenz in ihren Produkten und Dienstleistungen oder für interne Zwecke nutzten. Busch sieht dafür zwei Gründe: „Zum einen hat das mit Bedenken hinsichtlich der Cybersicherheit zu tun, zum anderen auch mit der Verfügbarkeit der entsprechenden Fähigkeiten und Ressourcen.“ Wegen des Fachkräftemangels gäbe es vielerorts zu wenig KI-Experten. Dadurch fehle das Know-how in den Unternehmen, um Künstliche Intelligenz in bestehende Geschäftsmodelle zu integrieren oder neue Ideen umzusetzen. Deshalb hat Siemens eine Beraterfirma gegründet, die Unternehmen bei der digitalen Transformation unterstützt: „Dabei handelt es sich um ein kleines Unternehmen innerhalb von Siemens, das wir die IoT-Einheit nennen. Diese gibt unseren Kunden Ratschläge und zeigt ihnen einen klaren Fahrplan, mit dem sie neue Technologien Schritt für Schritt einführen und gleichzeitig alle Vorteile nutzen können, die das Internet der Dinge bietet“, sagt Busch. Zu diesen Vorteilen gehört, dass Fertigungsprozesse einfacher optimiert, Produkteinführungszeiten verkürzt und die Betriebszeiten von Maschinen erhöht werden können.
6 Prozent
der deutschen Firmen nutzten Künstliche Intelligenz im Jahr 2019.
Das ergab eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums (2019).
Worauf sich Unternehmen anfangs konzentrieren sollten
Unternehmen, die die Vorzüge des IoT nutzen möchten, sollten sich laut Busch drei Fragen stellen: Wie lässt sich die Vernetzung technisch am besten lösen? Welche IT-Sicherheitsinfrastruktur ist nötig, um die Datenströme zu schützen? Und wie sollen aus der Datenanalyse konkrete Prozessverbesserungen oder Veränderungen im Geschäftsmodell abgeleitet werden? Weil die Antworten darauf oft komplex sind, rät Busch zum Start zur Vereinfachung: „Fangen Sie an, indem Sie Ihre größten Schmerzpunkte identifizieren.
Wählen Sie einen Partner, der Ihnen dabei hilft, und machen Sie dann einen Plan, mit dem Sie diese Schmerzpunkte angehen und beseitigen.“ Unternehmen sollten sich von den zahlreichen technischen Möglichkeiten, die das IoT bietet, nicht beirren lassen, sondern zunächst die für sie wichtigsten Anwendungsfälle auswählen. „Fangen Sie klein an, machen Sie die ersten Schritte und bauen Sie darauf auf. Wenn Sie erst einmal eine IoT-Plattform implementiert haben, können Sie weitere Anwendungen hinzufügen“, so Busch.
Wie IoT die Mobilität verbessert
Doch nicht nur die Industrie steht vor einem Wandel, sondern auch die Mobilität. Busch spricht hier von einem vierdimensionalen Umbruch: „Sie wird automatisiert, vernetzt und elektrisch sein sowie von vielen Menschen gemeinsam genutzt.“ In den Städten werde es einen Mobilitätsmix geben, der aus Stadtbahnen, E-Rollern und selbstfahrenden elektrischen Shuttles besteht. „Dabei kann das IoT seine Stärken ausspielen: Man kann damit Daten aggregieren, Plattformen schaffen und die verschiedenen Verkehrsmittel so miteinander vernetzen, dass eine bessere, reibungslosere und schließlich auch CO₂-sparendere Mobilität entsteht.“ Mit IoT-Plattformen könnte man beispielsweise Mobilitätsdaten erheben und verwalten. Dadurch könnten Städte oder Betreiberfirmen die Verfügbarkeit von Car-Sharing-Fahrzeugen verbessern oder einen individualisierbaren Mobilitätsmix erstellen. Die Nutzer könnten dann wählen, ob sie eher schnell, preiswert oder besonders CO₂-sparend an ihr Ziel kommen wollen und sich entsprechende Fahrzeuge aussuchen.
Warum die Wirtschaft KI braucht
Auch wenn Maschinen durch Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge immer effizienter werden, glaubt Busch nicht, dass sie menschliche Arbeitskräfte ersetzen werden. „Wir Menschen haben etwas ganz Besonderes. Sie müssen Ihrem Kind nicht erst hunderttausende Bilder von einem Hund zeigen, damit es einen Hund erkennt.“ Maschinen hingegen müssten selbst für solche vergleichsweise einfachen Aufgaben speziell trainiert werden. Laut Busch ist die Digitalisierung deshalb ein Mittel, um die Produktivität zu erhalten: „Wir leben in einer Welt, in der die Bevölkerung zunehmend altert, wodurch wir immer weniger Arbeitskräfte am Markt haben. Wir brauchen diese intelligenten Maschinen, damit sie einen Teil der Arbeit übernehmen.“
Roland Busch, Technologievorstand und designierter CEO von Siemens, im Interview
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Im Fokus
Dr. Roland Busch, 55
Technologievorstand und designierter CEO von Siemens
Die Einführung des IoT in der B2B-Welt hat ein enormes Potential. Wir sehen, dass alle unsere Märkte davon berührt werden.
Roland Busch studierte Physik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg, wo er auch promovierte, und an der Universität von Grenoble in Frankreich. 1994 begann er als Projektmanager in der Forschungsabteilung von Siemens. In den darauffolgenden Jahren war Busch in mehreren leitenden Positionen tätig, meist mit Bezug zur Mobilität. Im Jahr 2011 wurde er Vorstandsmitglied und CEO für den Infrastructure & Cities Sektor, 2016 dann Technologievorstand (CTO). Im März 2020 gab Siemens bekannt, dass Busch die Nachfolge von Konzernchef Joe Kaeser antreten werde. Spätestens im Februar 2021 soll Busch das Amt des CEO übernehmen.
Fazit
Künstliche Intelligenz und das IoT werden von der Industrie noch zu wenig genutzt, sagt Roland Busch. Er rät Unternehmen, die Digitalisierung schrittweise mit Hilfe von externen Beratern anzugehen. Der Einstieg lohnt sich, denn IoT-Plattformen erhöhen nicht nur die Produktivität der Wirtschaft, sondern auch die Effizienz der Mobilität.