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Nachhaltigkeit

Virtuelle Kraftwerke

Interview mit Prof. Dr. Manfred Fischedick

Prof. Dr. Ing. Manfred Fischedick

Prof. Dr. Ing. Manfred Fischedick

Prof. Dr. Ing. Manfred Fischedick
Prof. Dr. Manfred Fischedick: „Virtuelle Kraftwerke haben das Potenzial, zum Eckpfeiler einer zukunftsfähigen, sicheren Energieversorgung zu werden.“

Prof. Dr. Ing. Manfred Fischedick ist seit 2006 Vizepräsident am Wuppertal Institut. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Energiewirtschaft, Energiesystem- und Energieszenario-Analysen und erneuerbare Energien. Seit 2008 ist er außerplanmäßiger Professor an der BU Wuppertal.

Bis 2050 soll in Deutschland der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix auf 80 Prozent ausgebaut werden.

Welche Bedeutung kommt virtuellen Kraftwerken in diesem Zusammenhang zu?

Fischedick: Um erneuerbare Energien ins bestehende Versorgungssystem zu integrieren, müssen wir an diversen Stellschrauben drehen. Dazu gehört auch, dass wir den Ausbau selbst intelligenter als bisher steuern – das betrifft sowohl den Energieträgermix als auch die geografische Verteilung der Energie. Es geht um Netzausbau und -ertüchtigung sowie um ein effizientes Lastmanagement. Gefragt sind zudem leistungsstarke Speichersysteme und so genannte Power-to-X-Lösungen, mit denen Strom in eine besser speicherbare Energie wie Wärme, Wasserstoff oder Kraftstoff umgewandelt wird. Virtuelle Kraftwerke bringen die einzelnen Elemente des Energiesystems mithilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien zusammen. Sie können zudem einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass sich erneuerbare Energien an den Systemdienstleistungen beteiligen, also beispielsweise Regelenergie bereitstellen. Dies macht sie zu einer wichtigen Zukunftstechnologie.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer dezentralen Energieversorgung?

Fischedick: Die Energiewende und der damit einhergehende Umbau unseres Energiesystems mit seinen zentralen Kohle- und Atomkraftwerken sind mit einem komplexen Transformationsprozess verbunden. Auf erneuerbare, dezentral erzeugte Energien zu setzen, verlangt nicht nur nach technologischen Lösungen, die den unregelmäßig erzeugten Solar- und Windstrom zuverlässig in die Netze integrieren. Genauso entscheidend ist die Frage, wie der Energie- und Strommarkt zukünftig gestaltet sein muss, um weiterhin Versorgungssicherheit und Systemstabilität zu gewährleisten. Für das Gelingen der Energiewende sind zudem infrastrukturelle Herausforderungen und die gesellschaftliche Akzeptanz von zentraler Bedeutung. Letztlich handelt es sich bei diesem Vorhaben um ein Gemeinschafts- und Generationenprojekt, das nur über den Einsatz und den Gestaltungswillen Aller zu meistern ist. Die Energiewende ist in diesem Sinne weit mehr als eine rein technische Herausforderung.

Dennoch sind technologische Innovationen eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Wie ausgereift sind die aktuellen Speicher- und Steuerungsmodelle?

Fischedick: Der Einsatz von Speicherkraftwerken in der Stromwirtschaft ist nicht neu. Wir nutzen seit vielen Jahrzehnten beispielsweise Pumpspeicherkraftwerke. Gerade für diese Anlagen haben sich aber die Einsatzbedingungen verändert. Bislang galt beispielsweise die Faustregel, dass der Strompreis entsprechend den Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage am Mittag hoch ist und in der Nacht niedrig. Dieses starre Schema funktioniert mit der zunehmenden Einspeisung erneuerbarer Energien nicht mehr, dementsprechend müssen Speicher heute deutlich flexibler arbeiten. Mit Blick auf die Energiewende ist es also sinnvoll, innovative Speichertechnologien weiterzuentwickeln. Dies gilt für fortgeschrittene Batteriekonzepte genauso wie beispielsweise für Druckluftspeicher, Redox-Flow-Batterien oder Schwungradspeicher und supraleitende Spulen.

Was für Speicher werden künftig besonders gebraucht?

Fischedick: Langfristig wird insbesondere der Bedarf an Systemen zunehmen, die Strom über längere Zeiträume speichern. Hierfür kommen aus heutiger Sicht nur chemische Speicher in Frage. Strom kann dabei indirekt in Form von Wasserstoff, synthetischem Methan oder auch synthetischen flüssigen Energieträgern gespeichert werden. Auch wenn die Grundprinzipien für dieses „Power to Gas“ und „Power to Fuel“ heute zur Verfügung stehen, liegen noch viele Entwicklungsaufgaben vor uns. Vor allem aber besteht die Notwendigkeit, die Speicherkosten drastisch zu reduzieren. Darüber hinaus wird es künftig auch darauf ankommen, über das Lastmanagement Erzeugung und Nachfrage von Energie intelligent zu steuern. Virtuelle Kraftwerke bilden dafür den idealen Ort. In den vergangenen Jahren hat es verschiedene Demonstrationsprojekte gegeben, in denen dazu bereits wichtige Erfahrungen gesammelt wurden. Gezeigt hat sich dabei auch, dass virtuelle Kraftwerke über die Bereitstellung von Systemdienstleistungen das Potenzial haben, zum Eckpfeiler einer zukunftsfähigen, sicheren Energieversorgung zu werden.

Was müssen Unternehmen beachten, um im Marktsegment dezentrale Energieversorgung erfolgreich zu sein?

Fischedick: Sie sollten sich vor allem im Klaren darüber sein, dass technologische Innovationen allein nicht ausreichend sind. Beim Umbau des Energiesystems geht es vor allem darum, Technologien und soziale Neuerungen zu Systeminnovationen zu verknüpfen. Technologien brauchen einen entsprechenden Rahmen, wie beispielsweise intelligente Dienstleistungsangebote und adäquate infrastrukturelle Anbindungen. Erst, wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, können sich Innovationen am Markt etablieren.

Welche politischen Rahmenbedingungen sind notwendig, um den Ausbau virtueller Kraftwerke voranzutreiben?

Fischedick: In den nächsten Jahren steht die Überarbeitung, oder besser gesagt, die Neugestaltung des Energie- und Strommarktdesigns auf der Tagesordnung. Das bisherige System ist stark auf eine Erzeugungsstruktur abgestellt, in der Großkraftwerke dominieren. Im Rahmen der Umstellung gilt es sicherzustellen, dass hinreichende Anreize für die Bereitstellung zentraler Systemdienstleistungen bestehen, denn nur so lässt sich die Versorgungssicherheit aufrechterhalten. Ziel sollte dabei sein, eine möglichst wettbewerbsneutrale Lösung zu finden und keine Technologien zu bevorzugen. Virtuelle Kraftwerke werden in diesem politischen Rahmen ihren Platz finden.

Welche Kräfteverschiebungen sind durch die Energiewende am internationalen Energiemarkt zu erwarten?

Fischedick: Noch ist der Energiemarkt sehr stark durch wenige große Unternehmen geprägt. Künftig wird er vielschichtiger werden. Absehbar ist, dass Modelle zur Eigenversorgung zunehmen, aber auch neue Akteure mit spezifischen Dienstleistungsangeboten am Energiemarkt teilnehmen. Auch Stadtwerke werden künftig gute Chancen haben, sich mit ihrer ausgeprägten Nähe zu den Kunden im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz mit passgenauen Dienstleistungsangeboten zu positionieren. Insgesamt wird der Markt in Zukunft dienstleistungsorientierter werden und deutlich weniger stark durch den reinen Verkauf von Kilowattstunden Strom oder Kubikmeter Gas bestimmt sein.

(Die Fragen beantwortete Prof. Dr. Manfred Fischedick im Oktober 2014)