Von der Starterbatterie zum Sensor
Wie Bosch recycelte Kunststoffe in die Industrie bringen will
Ein Bett aus gebrauchten Europaletten, Lampenschirme aus alten Tassen – beim so genannten Upcycling entstehen aus vermeintlichem Müll neue Dinge. Doch anspruchsvolle Technik in der Industrie aus recyceltem Material herzustellen, war bisher kaum möglich. Ein Expertenteam arbeitet bei Bosch Research jetzt daran, genau dies zu realisieren. Im Fokus steht dabei vor allem die richtige Rezeptur.
Das Projekt: Aus Starterbatterien sollen Ultraschallsensoren werden
Seit zwei Jahren arbeiten Stefan Apelt und Anika Harbord bei Bosch Research an der Lösung eines Problems: Aus alten Auto-Starterbatterien sollen neue Gehäuse für Ultraschallsensoren entstehen, die später in Parkpiloten von Fahrzeugen eingesetzt werden. „Wir wollen damit Ressourcen schonen und gleichzeitig die ökonomische Nachhaltigkeit umsetzen“, erklärt Kunststoffexperte Gustav Klett von Bosch Automotive Electronics. Er unterstützt das Team bei Bosch Research mit seinem Fachwissen als langjähriger Entwickler und Experte. In seiner Abteilung wurde der Vorschlag erarbeitet, das Rezyklat im Ultraschallsensor einzusetzen. Doch wie soll das alte Material den hohen Anforderungen genügen, sodass es all die Tests besteht, die für die Nutzung in den hochkomplexen und langzeitbeständigen Ultraschallsensoren nötig sind? Daran forschen Anika und Stefan gemeinsam mit weiteren Experten, die sich um die Ökobilanz des Materials oder die spätere Verknüpfung mit dem Einkauf kümmern. Für Stefan Apelt ist das mehr als nur ein Projekt für die Arbeit: „Wir wollen zeigen, dass richtig eingesetzter Kunststoff gut und nachhaltig ist.” So nimmt Bosch als Unternehmen auch seine Verantwortung wahr.
Herausforderung: Der Rohstoff
Eine der größten Herausforderungen der Forschung im Bereich Recycling-Kunststoff war es, geeignete Rohstoffe und Zulieferer zu finden, sagt Anika Harbord. Zuerst mussten Quellen entdeckt werden, die das Material in ausreichender Menge liefern könnten, um damit in Serie zu gehen. Zudem sollte es dabei keine langen Lieferwege geben. „Wichtig ist natürlich auch die Reinheit der Rohware. Diese darf keine Schadstoffe enthalten”, erklärt Anika Harbord.
Erst wenn ein Material all diese Voraussetzungen erfülle, sei es geeignet für die Weiterverarbeitung. Die Entscheidung fiel am Ende auf alte Starterbatterien, weil damit die beschriebenen Anforderungen gewährleistet werden können.
Anika Harbord
- Arbeitet seit 2014 für Bosch und forscht daran, recycelte Materialien für neue Produkte in der Industrie einzusetzen.
- „Das Thema hat die Richtigen getroffen. Wir lieben es, den Bereich Recycling zu bearbeiten.”
Stefan Apelt
- Stieg 2008 mit dem Thema Biokunststoff bei Bosch ein, um eine Alternative zum schwindenden Rohöl zu finden.
- „Es ist ein schönes Gefühl, etwas Gutes für die Umwelt zu tun.”
Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen
Verantwortung übernehmen und den von Bosch generierten Abfall wiederverwerten
Den CO₂-Fußabdruck von Produkten verbessern
Klimaschutz durch Ressourceneffizienz
Herausforderung: Die Rezeptur
Kunststoff in Reinform, Laser-Marker, Glasfaser, Zusätze gegen Oxidation – das alles gehört in ein stabiles Kunststoffverbund-Material. Um aus diesen Bestandteilen die richtige Mischung für die Sensorgehäuse zu finden, brauchte es unzählige Versuche. Für diese Tests hat das Team eine eigene Compoundieranlage für die Erstellung der Kunststoffmischungen zur Verfügung. Auf dieser wurden kleinere Mengen des Materials Rezept für Rezept gemischt. Insgesamt drei Zusammensetzungen schafften es in die engere Wahl für den Einsatz in den Ultraschallsensoren und wurden ausführlich im Hinblick auf die mechanischen und elektrischen Eigenschaften getestet.
Schließlich sollte das recycelte Material mit dem bisher verwendeten Material mithalten können, robust und lasermarkierbar sein. In Simulationstests wurden Hitzebeständigkeit, Dehnbarkeit und Belastbarkeit unter die Lupe genommen. Auch die Farbe stellte das Team vor Herausforderungen. “Den Kunststoff Polypropylen gab es als Rezyklat bisher nur in schwarz. Wir brauchten es aber auch in anderen Farben”, erklärt Gustav Klett. Ein Rezept konnte sich am Ende durchsetzen und alle Anforderungen erfüllen. Mit diesen Daten konnte schließlich auch der Einkauf überzeugt werden, ein Recycling-Unternehmen als offiziellen Bosch-Lieferanten aufzunehmen.
Von der Batterie zum Gehäuse für Ultraschallsensoren – So läuft der Prozess ab
Nächster Schritt: Massenproduktion
Vorerst wird das Material noch in kleinen Mengen in Pilotprojekten getestet. Damit aber künftig jeder Ultraschallsensor bei Bosch mit recyceltem Kunststoff hergestellt werden kann, braucht es einen Partner. Das Team suchte ein Unternehmen, das die geeigneten Maschinen hat, um das Material in massentauglichen Mengen herzustellen – natürlich nach der speziellen Bosch-Rezeptur. Und das war gar nicht so einfach. Rezyklate für technische Bauteile zu verwenden, war auf Herstellerseite weitestgehend Neuland. „Wir mussten die technischen Bedenken minimieren und die Lieferanten überzeugen, das Ganze nach unseren Vorstellungen umsetzen“, erzählt der verantwortliche Einkäufer Maikel Werk. Gerade bei solchen Herausforderungen profitierte das Team von der Kombination aus Forschungs-, Produktentwicklungs- und Einkaufsexpertise. Zum Partner wurde am Ende ein Recycling-Unternehmen für Starterbatterien. Läuft dort die Massenproduktion, können sich, wie die im Projekt eingebundenen Einkäufer Maikel Werk und Entwickler Michael Schneider, auch andere Bosch Kollegen ganz selbstverständlich für das nachhaltige Material entscheiden. „Unsere Entwicklung zeigt, dass es geht. Sie soll ein interner Ansporn sein, dass sich Entwickler trauen, auch mal ein Rezyklat einzusetzen.” sagt Stefan Apelt. Einen zweiten Lebenszyklus für Materialien zu erschaffen, sei ein erster Schritt in Richtung nachhaltige Produkte. Dies zeigt vor allem die im eigenen Hause erstellte Ökobilanzrechnung, welche dank der LCA-Expertin Elena Wege produktspezifisch abgebildet wird.
- Stunden muss das Material bei 130 °C beständig sein.
- Tonnen Material braucht es, um 800 Millionen Ultraschallsensoren herzustellen.
- Millionen Kilometer müsste ein deutsches Durchschnittsauto jährlich fahren, um das CO₂ zu erzeugen, das Bosch durch das Ersetzen von neuen Materialien mit dem entwickelten Rezyklat spart. Das sind insgesamt 500 Tonnen CO₂ pro Jahr.
Die Zukunft: Neue Projekte
Schon jetzt wird gleichzeitig an anderen Projekten gearbeitet, zum Beispiel an Lösungen für Automobil-Innenraumanwendungen aus Recyclingmaterial. „Da gibt es ganz großes Potenzial, mit Rezyklaten zu punkten”, sagt Stefan Apelt. Die Wiederaufbereitung auch in andere Produktbereiche zu integrieren, wird ebenfalls eine Herausforderung. Die wichtigsten Schritte zur Etablierung des aufbereiteten Materials ist das Team bei Bosch jedoch bereits gegangen. „Es waren viele Diskussionen und Gespräche nötig, um die Kollegen zu überzeugen, dass Rezyklat nicht minderwertig ist, sondern dass man daraus etwas machen kann”, sagt Gustav Klett.
Bei den nächsten Projekten werde es nun etwas einfacher als beim ersten Mal, ist Anika Harbord überzeugt. „Als wir angefangen haben, fand es zwar jeder nett, aber das Thema Recycling wollte keiner bearbeiten. Trotzdem sind wir drangeblieben und haben versucht, alle mitzureißen. Das ist uns gut gelungen und gelingt nur, wenn man echte Begeisterung für das Thema hat.”
Die nächste Herausforderung, die das Team um Anika und Stefan angehen möchte, ist das optimierte Recycling von verstärkten Kunststoffen, z. B. mit Glasfasern. Bisher fehlen ideale Lösungsansätze, wie gefüllte Kunststoffe wiedergewonnen und zu neuen technischen Produkten aufbereiten werden können. Deshalb wird diese wertvolle Werkstoffkategorie heute in den meisten Fällen dem energetischen Recycling zugeführt. Das heißt, sie wird verbrannt und in Form von Wärme oder Strom verwendet oder sie wird zu einem Ersatzbrennstoff weiterverarbeitet. Bosch Research verfolgt das Ziel, zukünftig auch diese gefüllten Kunststoffe recyceln zu können.
Das Ziel: Kreislaufwirtschaft
Langfristig hat das Team ein größeres nachhaltigeres Ziel im Blick: „Wir wollen den Kreislauf schließen, das heißt, am Ende des Lebenszyklus das Material zurückbekommen und es wieder neu in den Kreislauf schicken”, sagt Stefan Apelt. Im Moment funktioniere das noch nicht. Die Sensoren werden in Autos verbaut und kommen nicht wieder zu Bosch zurück. „Das Projekt ist aber ein Schritt auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft”, ist Stefan Apelt überzeugt. Funktioniert der Prozess in diesem Fall, soll er schnellstmöglich auf andere Produktkategorien übertragen werden und es sollen weitere Rezepturen entwickelt werden.
Bestenfalls bleiben die neuen, recycelten Komponenten im Haus und die Produkte werden komplett wiederverwertet. Für Stefan Apelt ist dabei vor allem eines wichtig: „Wenn man darüber nachdenkt, wie lange es dauert, bis sich ausgedienter Kunststoff abgebaut hat, ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass man den Kindern so nicht nur Müll hinterlässt.”