Robert Boschs Reise nach New York 1884
Aufbruch in die neue Welt
Im Jahr 1884 fuhr der 22-jährige Robert Bosch nach New York. Er wollte im Umfeld der großen Pioniere der Elektrotechnik wie Thomas Alva Edison und Sigmund Bergmann neue Erfahrungen sammeln. Die Reise sollte ihn in vielerlei Hinsicht prägen.
Die Lichter gehen an
Es war gleißend hell im Saal. Rund 2 500 Glühbirnen mit der Leuchtkraft von 40 000 Kerzen strahlten um die Wette. Der junge Mechaniker Robert Bosch war sicherlich geblendet, wenn nicht gleichzeitig beeindruckt, als er 1884 das Münchener Hoftheater betrat. Verantwortlich für die Strahlkraft war ein Patent des US-amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison, das die Deutsche Edison-Gesellschaft nun anwendete. Robert Bosch absolvierte zur der Zeit gerade ein Semester als Gasthörer an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Der dortige Professor für Elektrotechnik schickte ihn nach München, um sich die Elektrifizierung des Hoftheaters anzuschauen und bei der Gelegenheit ein Empfehlungsschreiben für eine New Yorker Firma, die Edison Produkte zulieferte, zu bekommen. Robert Bosch hatte inzwischen viel Erfahrung bei deutschen Firmen gesammelt, was Technik und Organisation anging. Seinen obligatorischen Militärdienst hatte er auch abgeleistet und nun stand seinem Wunsch, die Welt zu sehen, nichts mehr im Weg. Mit dem Empfehlungsschreiben in der Tasche und einem Teil seines Erbes fuhr er 1884 nach Rotterdam und bestieg am 24. Mai ein Schiff mit dem Ziel New York.
Zwischen Hoffen und Bangen
Ein Tagebuch, das er auf der zwölftägigen Überfahrt führte, gibt uns einen Einblick in seine Hoffnungen und Befürchtungen, die er mit dem USA-Aufenthalt verband: „Bin gespannt, was ich mit meinen Empfehlungen ausrichte, ob ich nicht doch vielleicht ganz unten anfangen muss. Es könnte mich unter Umständen um Jahre zurückbringen, wenn ich erst Kellner oder Bäckerjunge werden müsste.“ Auf jeden Fall wollte er etwas erreichen: „Ich will aber auch jetzt Alles einsetzen, vorwärts zu kommen, und es müsste sonderbar sein, wenn ich nicht durchhaue in einem Lande, wo schon mancher etwas geworden ist, der noch nicht einmal den guten Willen dazu hatte, und an dem wird es bei mir nicht fehlen.“
Welcome to New York City
Bei der Ankunft in New York bot sich ihm der gleiche Anblick wie allen europäischen Einwanderern der Zeit. Er war begeistert: „Allmählich kommt die ganze Küste in Sicht. Es kann gar nicht mehr alles genannt werden, man muss das sehen… Ein Badhotel palastähnlich für 6 000 Personen… Die Küste des Kontinents ist bergig, das ist schön. – Brooklynbrücke. – Mir lacht das Herz im Leibe über dem Treiben. Kommt! Seht!“
New York muss für den jungen Mann überwältigend gewesen sein. Er erlebte die geschäftigen Hafenanlagen mit unzähligen Schiffen und natürlich das neue Wahrzeichen der Stadt, die 1883 fertiggestellte Brooklyn Bridge. Mit 486 Metern Spannweite war sie die damals längste Hängebrücke der Welt und verband New York City auf der Insel Manhattan mit der damals eigenständigen Stadt Brooklyn.
Ein Stück Heimat in der Fremde
Wie viele deutsche Einwanderer hat Robert Bosch wohl auch an der Lower East Side, in „Little Germany“, eine Unterkunft gefunden. Mehr als 250 000 Menschen lebten dort zusammen, die Umgangssprache war Deutsch. Es gab viele Lokale, in denen Bier ausgeschenkt wurde, sogenannte „beer halls“, aber auch Theater und Musikveranstaltungen. Die Menschen blieben ihrer ursprünglichen Nationalität nach erst einmal unter sich. In den Fabriken fand man immer Kollegen aus der alten Heimat. So schien es auch Robert Bosch zu gehen. Als er ein Jahr später in London arbeitete, schrieb er nach einem Pub-Besuch und regem Austausch mit Einheimischen: „Ich glaube, ich werde hier in 3 Monaten mehr englisch lernen als in Amerika in einem Jahr.“
Elektrisierend
Im dicht bebauten Manhattan lebten in den 1880er Jahren gut 1,2 Millionen Menschen. Die benachbarten Städte waren über mehrere Eisenbahnlinien angebunden und brachten die Arbeiterinnen und Arbeiter in die Fabriken. Um den zunehmenden Verkehr zu bewältigen und die Straßen zu entlasten, war 1878 die erste Hochbahnstrecke in Betrieb gegangen.
An allen Ecken und Enden wurde gebaut. Von der glanzvollsten Seite zeigte sich New York jedoch bei Nacht, wenn unzählige elektrische Glühbirnen Teile Manhattans erleuchteten. Dafür hatte Thomas A. Edison 1882 das erste stationäre Elektrizitätswerk errichten lassen und damit der Elektrifizierung New Yorks zum Durchbruch verholfen.
Im Dienst der Pioniere
Auch Robert Bosch geriet in den Sog der neuen Technik. Dank seines Empfehlungsschreibens erhielt er eine Anstellung bei „S. Bergmann & Company“. Sigmund Bergmann lebte den amerikanischen Traum: 1870 war er 18-jährig aus Thüringen nach New York ausgewandert und dort vom Hilfsarbeiter zum erfolgreichen Unternehmer geworden. Zusammen mit Edison hatte er Teile für die neue elektrische Beleuchtung entwickelt, die er – mit Edison als Teilhaber – in seiner Fabrik fertigte. Im obersten Stockwerk des Gebäudes an der Lower East Side unterhielt Edison seit 1882 sein Testlabor, und Bosch begegnete ihm dort mehrfach.
Als die Auftragslage bei Bergmann kriselte, erhielt Robert Bosch die Kündigung. Nach kurzer Zeit fand er jedoch eine neue Stelle bei den benachbarten Edison Machine Works, die ähnliche Produkte wie Bergmann fertigten. Dort arbeiteten auf engem Raum um die 800 Mechaniker, Hilfsarbeiter und Angestellte. Mit den Arbeitsbedingungen tat sich der gerechtigkeitsliebende Robert Bosch auch hier schwer. Die gängige Praxis des „hire and fire“, bei der die Arbeitskräfte je nach Konjunkturlage schnell eingestellt und ebenso schnell gekündigt wurden, ließ die Arbeiter und ihre Familien schutzlos zurück.
Arbeiter organisieren sich
Um das Los der Arbeiter zu verbessern, hatten sich auch in den USA Gewerkschaften gebildet. Robert Bosch trat einer dieser Organisationen, den 1869 gegründeten „Knights of Labor“ bei, die unter anderem den Achtstundentag und die Abschaffung von Kinderarbeit forderten. Mit 100 000 Mitgliedern 1884 war diese Gewerkschaft nicht unbedeutend. Die Knights of Labor waren für ihre Zeit sehr fortschrittlich: Sie nahmen Frauen und Schwarze als gleichberechtigte Mitglieder auf. Für asiatische Arbeiter galt dies jedoch nicht. Überhaupt mag die Behandlung von asiatischen Einwanderern und die zum Teil noch scharfe Rassentrennung in der amerikanischen Gesellschaft Robert Boschs Urteil über die USA beeinflusst haben. Er schrieb, dass er teilweise auch deshalb nach Amerika gegangen sei, weil ihn die Ansichten seines Vaters und seiner älteren Brüder zum jungen Demokraten gemacht hätten. Er kam jedoch zu dem Fazit: „Es gefiel mir Schwärmer aber nicht in dem Land, in dem der Eckstein der Gerechtigkeit fehlte: die Gleichheit vor dem Gesetz.“
Zurück in die Heimat
Letztendlich hatte der junge Bosch in den USA nicht wirklich „durchgehauen“, wie er es sich auf seiner Hinfahrt vorgestellt hatte. Wieviel davon an der krisengeschüttelten Arbeitswelt, wieviel am gesellschaftlichen und auch am persönlichen Umfeld lag, – er hatte sich verlobt und vermisste seine Anna in Stuttgart sehr – sei dahingestellt. Es zog ihn zurück nach Europa. Im April 1885 schrieb er an einen Freund: „Sobald ich wechseln kann, tue ich es.“ Er wollte sich um eine Stelle in Rotterdam bemühen, um „etwas (zu) finden, wo ich neben der Handfertigkeit auch Routine in Berechnungen u.s.w. erlernen kann, denn die erstere macht es nicht allein.“ Nach weiteren Stationen in London und Magdeburg hatte er genug gelernt, um 1886 in Stuttgart seine eigene „Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ zu gründen. Die Erfahrungen, die Robert Bosch während seines Aufenthalts in New York gesammelt hat, sollten ihn als Mensch und Unternehmer sein Leben lang prägen.
Autoren: Bettina Simon / Christine Siegel