Dezentrale Brennstoffzellensysteme machen das Internet nachhaltiger
Der Bedarf an elektrischer Energie steigt weltweit. Gleichzeitig stellt der Klimawandel die Menschheit vor große Herausforderungen. Gefragt sind Zukunftstechnologien, die heute schon in der Industrie funktionieren: Deshalb testet die Deutsche Telekom in einem Pilotprojekt zwei stationäre Festoxid-Brennstoffzellensysteme (Solid Oxide Fuel Cells, kurz SOFC) von Bosch. Mit diesen Anlagen ist es möglich, dezentral und sehr effizient nachhaltig Strom für die Nutzung zum Beispiel in Betriebsstätten für Netztechnik zu erzeugen.
Viel Energieverbrauch im Internet
Surfen, Streamen, Social Media – das ist im Internet Alltag für Milliarden Menschen. Wäre das Internet ein Land, es würde laut einer Studie des Thinktanks The Shift Project 2019 beim Energieverbrauch im globalen Staatenvergleich auf Platz sechs landen. Um nachhaltiger zu werden, stellen viele Internetanbieter ihre Energieversorgung auf erneuerbare Quellen um, etwa auf Wind- und Sonnenenergie. Diese sind jedoch wetterabhängig, wodurch ihre Stromerzeugung zeitlichen Schwankungen unterliegt. „Für Telekommunikationskonzerne ist eine stabile und sichere Stromerzeugung elementar. Wir können uns keine Sekunde Stromausfall erlauben“, sagt Bernd Schulte-Sprenger. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der PASM (Power and Air Condition Solution Management GmbH), einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom. Die 140 Mitarbeitenden der PASM stellen sicher, dass die „Core Sites“ genannten Betriebsstätten für Netztechnik der Deutschen Telekom jederzeit mit Energie versorgt sind, um für rund 48,5 Millionen Mobilfunk-Kundinnen und Kunden einen stabilen Mobilfunk- und Internetzugang zu gewährleisten.
Elektrische Energie zukünftig aus Wasserstoff
Um neue Wege für ihre Energieversorgung zu erschließen, testet die PASM an einer Core Site in Berlin eine Zukunftstechnologie. Seit Februar 2022 stehen dort zwei stationäre Festoxid-Brennstoffzellenanlagen von Bosch. Sie sind in der Lage, in einem elektrochemischen Prozess Erdgas oder Biomethan (ggf. mit einer Wasserstoff-Beimischung) in elektrische Energie umzuwandeln, wobei zusätzlich Wärme entsteht. Wird zukünftig grüner Wasserstoff in die Anlagen eingespeist, der mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wurde, erfolgt die Strom- und Wärmeerzeugung durch die SOFC-Systeme völlig CO₂-emissionsfrei.
Reaktionsprodukt Wärme kann zum Heizen oder Kühlen genutzt werden
Das futuristisch anmutende Gehäuse einer SOFC-Unit beherbergt mehrere Hundert Zellen, die zu sogenannten Stacks gestapelt sind. Sie sind das Herzstück der Unit; in ihr findet der elektrochemische Prozess statt. Eine SOFC-Anlage erzeugt rund zehn Kilowatt (kW) Strom und rund drei Kilowatt Wärme. Das sind im Jahr rund 80 000 Kilowattstunden (kWh) elektrische Energie. Damit kann beispielsweise der jährliche Strombedarf von mehr als 20 Vier-Personen-Haushalten gedeckt werden. Im Umwandlungsprozess entsteht neben Strom auch Wärme. Die entstehende Wärme kann zur Beheizung von Gebäuden genutzt oder mittels Absorptionskältemaschinen in Kälte umgewandelt und dann zur Kühlung von Servern genutzt werden.
Hohe Effizienz und Betrieb mit unterschiedlichen Energieträgern
Insgesamt erreichen die Brennstoffzellen einen elektrischen Wirkungsgrad von 60 Prozent bei der Stromerzeugung. Zum Vergleich: Ein Braunkohlekraftwerk kommt auf einen durchschnittlichen elektrischen Wirkungsgrad von knapp 40 Prozent, ein Steinkohle- oder Gaskraftwerk auf rund 45 Prozent. Bei der SOFC-Anlage kann bei zusätzlicher Wärmenutzung der Gesamtwirkungsgrad auf über 85 Prozent erhöht werden.
Darüber hinaus sind SOFC-Systeme bezüglich der Energieträger sehr flexibel. Im Berliner Pilotprojekt nutzt die PASM derzeit Erdgas, weil vor Ort keine Wasserstoffinfrastruktur existiert. Langfristig will die PASM ihre beiden Pilotanlagen jedoch auf nachhaltigere Energieträger umstellen. Schon beim Betrieb mit Erdgas ist die SOFC-Anlage anderen Stromerzeugungsarten in puncto Umweltfreundlichkeit deutlich überlegen. Es fallen kaum Stickoxide oder Partikel an, zudem liegt der CO₂-Ausstoß um etwa zwei Drittel niedriger als bei der Kohleverstromung in Deutschland. Bei einem zukünftigen Betrieb der SOFC-Anlagen mit nachhaltig erzeugtem Wasserstoff liegt der CO₂-Ausstoß bei null.
Wie funktioniert die Stromerzeugung in einer Festoxid-Brennstoffzelle?
Netzverluste vermeiden
Nun ist nachhaltiger Strom für die Deutsche Telekom nichts Neues. Sie betreibt ihre mehreren hundert Core Sites in Deutschland bereits vollständig mit nachhaltiger Energie und ist an Wind- und Solarparks beteiligt. Doch der Konzern will noch mehr tun – und Innovationen wie das SOFC-System können ein Schlüssel dafür sein. Wenn elektrische Energie über Kabel und Oberleitungen des öffentlichen Netzes transportiert wird, geht unweigerlich ein Teil davon verloren. Mit den dezentralen Brennstoffzellensystemen von Bosch ist die PASM jedoch imstande, selbst Strom zu erzeugen – und zwar genau dort, wo er auch verbraucht wird. „Durch die SOFC-Systeme können wir Netzverluste vermeiden und die Energieeffizienz mit der Möglichkeit der Wärmeauskopplung an den einzelnen Standorten steigern“, sagt Bernd Schulte-Sprenger. Zugleich vermeidet die Deutsche Telekom durch die Eigenstromerzeugung auch Netzentgelte und spart somit Kosten.
> 85 Prozent
Gesamtwirkungsgrad erreichen dezentrale Brennstoffzellensysteme bei der Nutzung von Strom und Wärme
Ein digitaler Zwilling für jede SOFC-Unit
Zukunftsstark zeigt sich die SOFC-Anlage auch bei der digitalen Vernetzung: Bosch hat das stationäre Brennstoffzellensystem von Grund auf so entwickelt, dass es als IoT-Device mit der Cloud verbunden ist. Über den kompletten Lebenszyklus einer SOFC-Unit fließen Daten in die Cloud, wo sie gesammelt und semantisch verknüpft werden, wodurch ein virtuelles Abbild entsteht – ein sogenannter digitaler Zwilling. Dieser erlaubt die Echtzeitüberwachung jeder einzelnen SOFC-Anlage und liefert dem Service- und Wartungspersonal wichtige Informationen. Außerdem kann man die Daten aller Geräte mittels künstlicher Intelligenz auswerten, um die Effizienz, die Produktentwicklung und die Fertigung weiter zu optimieren. Künftig wird es auch möglich sein, die dezentralen Brennstoffzellensysteme in bereits vorhandene Ökosysteme der Kunden zu integrieren, zum Beispiel in Plattformen für Energie- und Gebäudemanagement. Auch an Augmented- beziehungsweise Virtual-Reality-Anwendungen wird bereits gearbeitet, um eine verbesserte Ferndiagnose und -wartung zu ermöglichen. Über den digitalen Zwilling werden also nicht nur Daten für die kontinuierliche Weiterentwicklung des Produkts gesammelt, sondern er bietet auch direkte Vorteile für die Betreiber der Anlagen.
Viel Potenzial für die Zukunft
Nachhaltig, vernetzt und dezentral – so sieht die Energieversorgung mit dezentralen Brennstoffzellensystemen aus. „Solche Innovationen sind für uns als Unternehmen und auch für die Gesellschaft zukunftsweisend“, sagt Bernd Schulte-Sprenger. „Bosch ist dabei ein wertvoller Partner, der die Brennstoffzellentechnologie langfristig für die Sicherstellung von IT- und Telekommunikation vorantreibt.“ Noch stellen die beiden SOFC-Units in der Core Site in Berlin nur einen kleinen Teil der dort benötigten Energie bereit. „Nach erfolgreichem Abschluss der Pilotphase können wir uns vorstellen, die SOFC-Anlagen als wichtigen Bestandteil unserer Core Sites einzusetzen – im Idealfall natürlich betrieben mit grünem Wasserstoff“, sagt Bernd Schulte-Sprenger. Es wären weitere wichtige Schritte auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Internet. Mit dem geplanten Start der Serienfertigung der stationären Brennstoffzellensysteme im Jahr 2024 kann Bosch diese Ausweitung gewährleisten.