Vom Autobauer zum Mobilitäts-Dienstleister
JIm Gespräch mit dem Chief Digital Officer der Volkswagen AG
28.06.2018
Autofirmen bauen einfach nur Autos? Das war einmal, sagt Johann Jungwirth. Er ist sich sicher: Der Branche steht eine grundlegende Wandlung bevor.
Revolutionäre Umwälzungen
Alles wird anders, daran glaubt Johann Jungwirth – zumindest, wenn es um die Welt des Automobils geht. Diese wird in zehn Jahren eine andere sein, betont der Chief Digital Officer des Volkswagen Konzerns. Drei zentrale Entwicklungen sorgen seiner Ansicht nach dafür, dass sich die Branche neu erfinden muss: „Erstens die Entwicklung vom Verbrennungsmotor zum elektrischen Antrieb. Zweitens die vom Mensch, der selbst fährt, zum automatisiertem Fahren. Und drittens die Veränderung weg vom Besitz zu Mobilität als Dienstleistung, die man in Anspruch nimmt.“
50 Milliarden
Anzahl der Geräte, die bis 2020 weltweit vernetzt sein sollen.
Weg von reinen Hardware-Herstellern, hin zu Hardware-, Software- und Service-Unternehmen - diese Entwicklung haben Automobilbauer laut Jungwirth zu bewältigen. Das Geschäftsmodell der Zukunft nennt er „Mobility-as-a-service“. Anstelle des einen traditionellen Kerngeschäfts werden fünf grundsätzliche Dienstleistungen der Mobilität wichtig. Zunächst braucht es die Anbieter des Self-Driving-Systems, dem Herz und Gehirn selbstfahrender Autos. Zudem die klassischen Autohersteller und Flottenmanager, die Fahrzeuge bereitstellen und betreuen, sowie die Anbieter von Mobilitäts-Software. Als fünfte Dienstleistung sieht er das Content-Angebot – beispielsweise Software für Entertainmentprogramme.
Riesige Gewinnpotenziale
Nicht jeder Automobilhersteller werde das alles bieten können, zu gewaltig seien die Anforderungen. Doch Firmen, denen die Wandlung gelingt, winken laut einer Studie von Goldman Sachs große Gewinne. Ihr zufolge könnten klassische Autobauer alleine mit gutem Flottenmanagement von selbstfahrenden Autos und der damit verbundenen Dienstleistungen pro Fahrzeug 14 000 US-Dollar vor Zinsen und Steuern erlösen – in nur drei Jahren. Ein enormes Potential: Bislang liegt die Marge bei 2 000 US-Dollar - über die gesamte Lebenszeit des Autos.
37 668
Stunden, die ein Mensch im Leben durchschnittlich im Auto verbringt.
Wenn es nach Jungwirth geht, wird der Kunde in naher Zukunft über digitale Plattformen mit seinem eigenen Profil registriert sein. Egal, in welches Fahrzeug er steigt – seine persönlichen Einstellungen sind schon da. Der Sitz bewegt sich in die richtige Position, der passende Radiosender läuft und auch sonst ist alles individuell optimiert. Mobilität als umfänglicher Service. „Das Erlebnis in diesem Ökosystem muss das beste der Welt sein“, sagt Jungwirth.
Autokino – ganz anders
Gleichzeitig könnten sich Besitzer selbstfahrender Autos ihren Wagen als erweiterten Wohnraum nach eigenen Vorstellungen einrichten. So ließe sich die Zeit hinter dem Steuer sinnvoller als bisher nutzen. „Sie können sich ihr Auto wie ein Wohnzimmer einrichten, wie ihr Videospielzimmer, sogar wie ihren Wellnessbereich oder Lounge, ihr Kino, alles, was sie wollen.“ In diesem Zusammenhang ergibt sich für Autofirmen die Chance, die eigene Marke ganz neu zu definieren.
Über allem steht für Jungwirth beim automatisierten Fahren jedoch der Sicherheitsaspekt. Weltweit gibt es 1,25 Millionen Verkehrstote pro Jahr, mehr als 90 Prozent aller Unfälle sind davon auf menschliche Fehler zurückzuführen. „Automatisiertes Fahren kann das stoppen”, sagt Jungwirth. Er sieht darüber hinaus einen weiteren Vorteil des automatisierten Fahrens: Es gebe Blinden, Alten und Kranken die Chance, mobiler zu werden.
34 Milliarden Euro
Summe, die VW in die Entwicklung von Elektroautos investiert.
Dass dieser allumfassende Veränderungsprozess auf Kosten der Mitarbeiter in den Automobilunternehmen geht, glaubt Jungwirth nicht. „Wenn wir uns frühere industrielle Revolutionen anschauen, die erste, die zweite, dritte, grundsätzlich sind dort mehr Jobs entstanden als verloren gegangen – und die Gesellschaft hat profitiert.“ Bei Industrie 4.0 werde sich ein ähnliches Bild ergeben. Das heißt: mehr Jobs, nicht weniger. „Aber es werden andere Fähigkeiten gefragt sein, andere Jobs. Es wird mehr um Künstliche Intelligenz gehen, um dezentralisierte Datenverarbeitung, um viele neue Aspekte. Grundsätzlich bin ich sehr optimistisch.“
Ein Interview mit Johann Jungwirth, Chief Digital Officer bei VW
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Im Fokus
Johann Jungwirth, 45
Chief Digital Officer, VW
Auch Kinder sind in der Lage, selbstfahrende Autos zu rufen.
Johann Jungwirth studierte Elektrotechnik in Stuttgart und arbeitete anschließend bei Mercedes-Benz, für die er 2009 als Chef der Forschungsabteilung ins Silicon Valley ging. 2014 folgte der Wechsel zu Apple, bevor er ein Jahr später seine Stelle als Digitalchef bei Volkswagen antrat.
Fazit
Weil Mobilität neu erfunden wird, müssen Autohersteller bereit zum Wandel sein. Das anzustrebende Geschäftsmodell in Zeiten von automatisiertem und elektrischem Fahren: Mobility-as-a-Service, ein umfassendes Angebot, um Menschen von A nach B zu bringen. Nur wer die Entscheidung für die Zukunft trifft, kann von ihr profitieren.