Zum Hauptinhalt springen
CEO-Blog

Warum der Fokus auf alle Antriebsarten entscheidend ist

Stefan Hartung steht vor verschiedenen Fahrzeugen mit einer Vielfalt an Antriebstechnologien.

17.09.2024

Normalerweise hat eine Nutzfahrzeugmesse nicht viel mit der Formel 1 zu tun. Vierzigtonner mit Slicks und keramischen Scheibenbremsen sind jedenfalls noch nicht die Regel. Blickt man aber auf die Branche als Ganzes, so ist die aktuelle Lage tatsächlich ein bisschen wie beim Grand Prix zum Saisonauftakt. Denn das Rennen um die richtige Antriebstechnik für Nutzfahrzeuge ist noch offen: Das Tempo beim Ausbau der Infrastruktur ist schwer abzuschätzen, und über den regulatorischen Rahmen wird noch heftig debattiert.

von Stefan Hartung
Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH

Nur wer im perfekten Moment durchstartet, gewinnt.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Für Hersteller und Zulieferer ist das kein einfaches Startumfeld. Jede Antriebstechnik ist sozusagen noch in der Safety Car-Phase. Wer überholt, hat ein Problem. Wer wiederum zu lange zögert, landet am Ende im Mittelfeld. Nur wer im perfekten Moment durchstartet, gewinnt.

Immerhin gibt es keine Diskussion über das Ziel: Wir alle wollen Nutzfahrzeuge, die dem Klima nicht mehr schaden. Und wir alle wollen einen Güterverkehr, der bezahlbar ist und weder Speditionen noch Verbraucher über Gebühr belastet.

Wir können dieses Ziel erreichen. Dafür brauchen wir politische Klarheit, Anreize für Investitionen – und technologischen Freiraum. Denn die Antriebe der Zukunft werden zwar klimafreundlicher als heute sein, aber nicht überall kommen die gleichen zum Einsatz.

20 %

aller neu zugelassenen Nutzfahrzeuge schwerer als sechs Tonnen könnten 2030 über einen batterieelektrischen Antrieb verfügen.

Momentan sieht es bekanntlich nach einem Nebeneinander der verschiedenen Antriebsarten aus. In einer moderaten Annahme erwarten wir, dass 2030 weltweit etwa 20 Prozent aller neu zugelassenen Nutzfahrzeuge schwerer als sechs Tonnen über einen batterieelektrischen Antrieb verfügen werden, den Anteil der Brennstoffzelle sehen wir bei circa drei Prozent.

Fünf Jahre später, 2035, wird schon gut jeder dritte Lkw mit einer Batterie an Bord fahren, und jeder zehnte mit einer Brennstoffzelle. Den Wasserstoffmotor werden wir dann ebenfalls auf den Straßen und off-road sehen, wenn auch deutlich weniger häufig.

Natürlich hängt die genaue Entwicklung entscheidend von der jeweiligen Anwendung und Region ab. Die Botschaft aber ist klar: Sobald die Märkte oder die Gesetzgebung spürbar in eine Richtung drehen, müssen wir als Industrie bei allen Antrieben in der Lage sein, unsere Produktion effizient hochzufahren.

Klimafreundliche Antriebe werden sich nur durchsetzen, wenn sie sich auch rechnen

Die wirklich entscheidenden Stellschrauben für den Güterverkehr der Zukunft finden sich aber schon längst nicht mehr nur unter der Motorhaube: Was früher weitgehend eine Frage der Fahrzeugtechnik war, ist mittlerweile ein gesellschaftliches Thema. Schließlich will jeder, der ein Nutzfahrzeug kauft, vor allem drei Dinge wissen: Erstens: Führt die neue Technologie zu niedrigeren Gesamtkosten? Zweitens: Ist die neue Technologie wettbewerbsfähig? Drittens: Ist die entsprechende Infrastruktur vorhanden? Und die Antworten auf diese Fragen gibt eben nicht nur die Technik, sondern auch die Politik.

Denn klimafreundliche Antriebe werden sich nur dann durchsetzen, wenn sie sich auch rechnen. Für den Spediteur, für die Wirtschaft, und für die Gesellschaft. Das gilt überall auf der Welt. Aufgabe der Politik ist es dabei, die richtige Starthilfe zu leisten.

Das erfolgt erstens über die Kosten. Hier könnte schon mit wenig Aufwand ein klares Zeichen gesetzt werden. Etwa indem man emissionsarme Fahrzeuge zumindest in den kommenden Jahren steuerlich fördern und von Abgaben wie der Lkw-Maut befreien würde.

Zweitens, und auch das ist bekannt, muss massiv in die Infrastruktur investiert werden. Gerade in Deutschland und Europa passiert hier einfach nicht genug. Es gibt zu wenig Ladestationen, zu wenig Wasserstofftankstellen, zu wenig erneuerbare Energien. Fördermaßnahmen werden nicht konsequent genug umgesetzt, es fehlt an Anreizen für private Investoren, und das große Ziel verliert sich zu häufig im Klein-Klein der Einzelinteressen. Mit heißer Luft allein lässt sich aber leider immer noch kein Lkw antreiben.

Mitarbeiter arbeitet an einem Bosch Wasserstoffmotor.

Daraus ergibt sich, drittens, dass wir mehr Pragmatismus und mehr Offenheit brauchen. Wir sollten unsere vielen Optionen jetzt endlich nutzen, anstatt in endlosen Diskussionen das nun wirklich allerbeste und einzig wahre Vorgehen immer wieder aufs Neue zu bereden. Am Ende entscheidet ohnehin der Kunde. Und gerade in der Nutzfahrzeugbranche interessieren sich die meisten Kunden nicht für Wunschdenken. Maßgeblich ist einzig und allein der TCO.

Vielfalt verstehen und jede Anwendung optimal bedienen

Dabei geht es natürlich um viel mehr als nur um die Wirtschaftlichkeit der Speditionsbetriebe. Es geht um bezahlbare Lebensmittel, um einen erschwinglichen Nahverkehr und um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Insofern sollten wir besser darauf verzichten, bestimmte Lösungen und Ideen von vornherein auszuschließen.

Wir müssen also alle Antriebe weiterentwickeln und effizienter machen. Dazu zählen Batterie, Brennstoffzelle, der Wasserstoffmotor – und selbstverständlich auch moderne Verbrenner. Hier können synthetische Kraftstoffe ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, vor allem mit Blick auf die Bestandsflotte von weltweit rund 62 Millionen Lastwagen über sechs Tonnen. Auch auf diese Lösung sollten wir keinesfalls verzichten.

Bei Bosch sehen wir uns dabei in der Verantwortung, diese Vielfalt zu verstehen und jede Anwendung optimal zu bedienen. Wir haben also nicht nur eine einzelne Technologie im Blick, sondern die Zukunft der Mobilität allgemein. Das gilt für Pkw ebenso wie für Lkw.

Deshalb stellen wir uns bei Bosch im Nutzfahrzeugbereich derzeit neu auf: Wir bündeln wichtige Kompetenzen in einer neuen Business Unit, führen die Systementwicklung aus dem Antriebsstrang mit anderen Fahrzeugkomponenten zusammen und bauen ein zentrales Portfolio- und Produktmanagement für Commercial Vehicles und Off-Road auf – mit Jan-Oliver Röhrl, dem für Fertigung zuständigen Vorstandsmitglied im Geschäftsbereich Power Solutions, als Chairman für das gesamte Marktsegment. Wir sind überzeugt, dass wir durch diese neue Aufstellung einen klaren Mehrwert für unsere Kunden bieten – und gemeinsam noch erfolgreicher sein werden.

Ohne Antrieb werden sich die Märkte allerdings genauso wenig bewegen wie ein leergefahrener 40-Tonner. Und der beste Antrieb für Wachstum und Erfolg heißt nach wie vor Innovation. Bei Bosch haben wir jedenfalls einige Ideen für den Lkw der Zukunft.

In Indien arbeiten wir mit mehreren OEM am Wasserstoffmotor für schwere Lkw. Erste Testfahrzeuge sind schon auf den Straßen unterwegs, der Markteintritt wird im kommenden Jahr erwartet. Bosch liefert unter anderem das Einspritzsystem, Sensoren, Tankventile sowie Steuergeräte mitsamt der passenden Software für den Wasserstoffantrieb.

Brennstoffzellen-Elektromodul

Auf dem chinesischen Markt ist bereits eine E-Achse für schwere Nutzfahrzeuge mit einem Gewicht von 18 bis 49 Tonnen in Serie gegangen. Die starre Achse gibt es in mehreren Ausführungen; Elektromotor, Getriebe, Kupplungsaktuator, Inverter und Differential sind jeweils vollständig integriert. Die Lösung ist effizient, trägt zu niedrigeren Betriebskosten bei und eignet sich sowohl für batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge wie auch für solche mit Brennstoffzellen-Elektromodulen. Zurzeit laufen in China bereits gemeinsame Projekte mit acht Kunden.

In den USA testen wir gerade zusammen mit unserem Partner FirstElement Fuel eine sogenannte Kryopumpe, die bis zu 600 Kilogramm flüssigen Wasserstoff pro Stunde verdichtet. Die neue Pumpe könnte ein Gamechanger sein. Denn mit ihr kann ein Lkw innerhalb von zehn Minuten genügend Wasserstoff für die nächsten 1 000 Kilometer tanken. Das ist auf demselben Niveau wie beim Diesel – und für viele Trucker und Fuhrparkbetreiber ein wichtiges Argument für den Umstieg auf Wasserstoff.

Das Nutzfahrzeug wird zum software defined vehicle

Das Nutzfahrzeug der Zukunft wird sich aber nicht nur beim Antrieb deutlich verändern. Es wird auch völlig neue Fahrerassistenzsysteme und viel mehr Software an Bord haben. Zum einen, weil das automatisierte Fahren nirgendwo anders wirtschaftlich so schnell so viel bringt wie beim Lkw. Und zum anderen, weil Trucks und Transporter updatefähig sein müssen – das erfordert allein schon die wachsende Anzahl an vernetzten Services und Lösungen für das Flottenmanagement.

Insofern wird auch das Nutzfahrzeug bald schon zum software defined vehicle mit immer weniger, dafür jedoch leistungsfähigeren Fahrzeugcomputern.

Bosch auf der IAA Transportation 2024

In meinem Beitrag habe ich vor allem über die Antriebsfrage gesprochen. Der Grund dafür ist einfach: der derzeitige Wandel in der Mobilität wird nur erfolgreich sein, wenn er von Akzeptanz und Teilhabe getragen wird. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen das Ziel der Klimaneutralität grundsätzlich begrüßen. Zugleich glaube ich aber auch, dass der Grad der Zustimmung stark davon abhängt, ob der Weg zum Ziel als eine individuelle Entscheidung wahrgenommen wird oder nicht. Das gilt für einen Spediteur genauso wie für den privaten Käufer eines Pkw.

Gerade in der Nutzfahrzeugbranche haben wir als Hersteller und Zulieferer eine besondere Verantwortung. Es wird für die Akzeptanz des Wandels entscheidend sein, dass Lkw aller Größen ebenso wie Off-Road-Fahrzeuge auch während und nach der Transformation zuverlässig und wettbewerbsfähig betrieben werden können – perfekt zugeschnitten auf die jeweilige Anwendung, Region und wirtschaftliche Situation.

Deshalb brauchen wir eine Vielfalt an Antriebstechniken. Deshalb brauchen wir technologische Offenheit. Und wir brauchen einen Diskurs, der weder schwarzmalt noch polarisiert. Umdenken funktioniert nämlich besser, wenn wir unseren Horizont erweitern statt verengen.

Teile diese Seite auf