Die Zukunft der Landwirtschaft
Im Gespräch mit dem Group Agronomy Director von Bonduelle
10.02.2020
Zwischen Rechen und Roboter: Die Landwirtschaft befindet sich im digitalen Wandel. Neue Technologien – wie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz – können helfen die Erträge zu steigern und die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.
Herausforderung Ackerbau
Landwirte haben es heutzutage nicht leicht. „Der Klimawandel verursacht Probleme, manche Tier- und Pflanzenarten wie Bienen oder Regenwürmer, die für den Ackerbau eine Rolle spielen, sind bedroht. Gleichzeitig nimmt die Weltbevölkerung drastisch zu – ab 2050 müssen etwa 9,7 Milliarden Menschen ernährt werden“, sagt Jean-Marie Sol.
Er arbeitet für den französischen Nahrungsmittelhersteller Bonduelle, der in vielen Ländern Tütensalate, Feinkostprodukte sowie Konserven- und Tiefkühlgemüse verkauft. Als einer der weltweit führenden Gemüseverarbeiter kooperiert das Unternehmen mit mehr als 3 200 Vertragslandwirten und kennt deren Herausforderungen. Um genug Lebensmittel für die wachsende Weltbevölkerung produzieren zu können, müssten die derzeitigen Ernteerträge bis 2050 um zusätzlich 50 Prozent steigen. Gleichzeitig wird von den Landwirten verlangt, nachhaltiger zu wirtschaften. Die Lösung sieht Sol in Smart Farming: „Wenn wir neue Technologien mit einem tieferen Verständnis für die Mechanismen der Biodiversität kombinieren, können wir das Potential der Natur besser ausschöpfen.“
50 Prozent
zusätzlicher Ernteertrag werden benötigt, um die Weltbevölkerung im Jahr 2050 zu ernähren.
Ökologischer Pflanzen-Boost
Die Schlüssel zu einer ertragreicheren und ökologischeren Landwirtschaft sind laut Sol neue Züchtungsmethoden, die zu verbesserten Sorten führen, sowie Biokontrollprodukte und Biostimulatoren. Obwohl die beiden Letztgenannten schon seit mehreren Jahren auf dem Markt sind, setzen sie sich erst allmählich in der Landwirtschaft durch. Biokontrollprodukte schützen Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten und Biostimulatoren stärken die natürlichen Prozesse der Pflanzen, sodass sich das Wachstum, die Nährstoffaufnahme, die Pflanzengesundheit und die allgemeine Widerstandsfähigkeit erhöhen. Laut Sol spielen Biokontrollprodukte und Biostimulatoren als Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln eine wichtige Rolle: „Ihr Vorteil ist, dass sie die biologische Vielfalt und das natürliche Gleichgewicht schonen. Beides ist wichtig, um die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels zu machen.“
Durch KI mehr verstehen
Doch bevor Biokontrollprodukte und Biostimulatoren eine echte Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln werden können und die Landwirtschaft nachhaltiger wird, muss sie zunächst intelligenter werden: Das Internet der Dinge ermöglicht es Landwirten, Probleme früher zu erkennen. Dadurch können sie die Werkzeuge der Biokontrolle und der Pflanzenstimulation optimal einsetzen, um Pflanzen effektiv zu schützen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Landwirtschaft wird deshalb zunehmen – beispielsweise, um Daten zu analysieren.
„Durch KI können wir besser verstehen, wie einzelne Umweltfaktoren die Ertragsleistung von Pflanzensorten beeinflussen“, erklärt Sol. Dabei seien vor allem die Prozesse im Erdboden wichtig: „Wenn wir den dortigen Austausch zwischen Pflanzen und Mikroorganismen besser verstehen, können wir die Pflanze effektiver vor Schädlingen und Krankheiten schützen und müssen weniger chemische Pflanzenschutzmittel sprühen“, so der Agrarwissenschaftler.
Gezielter Sprühen
Neben Schädlingen und Pflanzenkrankheiten ist Unkraut eine der größten Herausforderungen für Landwirte. Das liegt zum einen an der geringen Zahl der zugelassenen chemischen Unkrautvernichtungsmittel – vor allem in Europa – zum anderen an der gestiegenen Resistenz von Unkräutern infolge des weit verbreiteten und intensiven Einsatzes bestimmter Herbizid-Wirkstoffe. Jean-Marie Sol rät deshalb zum sogenannten „Smart Spraying“. Dabei nutzt der Landwirt eine Feldspritze, die mit Kameras und einer Künstlichen Intelligenz ausgestattet ist. Innerhalb von Millisekunden kann dieses System Unkraut von Nutzpflanzen unterscheiden und sprüht nur dort, wo es absolut nötig ist.
Roboter jäten Unkraut
Sogenannte Unkrautroboter kommen sogar ganz ohne chemische Mittel aus. Sie fahren autonom über die Felder, identifizieren unerwünschte Gewächse, die den Nutzpflanzen Raum und Nährstoffe rauben, mittels intelligenter Kameras und jäten diese mechanisch. Sind die Roboter zusätzlich mit Sensoren ausgestattet, bringt das weitere Vorteile: Dann können sie Informationen – etwa zur Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Bodenbeschaffenheit – sammeln, auf deren Basis Landwirte das Pflanzenwachstum mitverfolgen und verwalten sowie den optimalen Erntezeitpunkt berechnen.
Darüber hinaus geben die Sensordaten auch tiefere Einblicke in die Gesundheit der Pflanzen und deren Entwicklung. „Roboter werden in der Landwirtschaft der Zukunft definitiv eine wichtige Rolle spielen“, ist Sol überzeugt. Trotz vieler Veränderungen steht für ihn fest, dass der Mensch auch künftig in der Landwirtschaft gebraucht wird. „Künstliche Intelligenz wird die Landwirte nicht ersetzen. Sie wird ihnen aber helfen, bessere Entscheidungen zu treffen, höhere Erträge zu erzielen und die nachhaltige Landwirtschaft besser und schneller umzusetzen.“
Ein Interview mit Jean-Marie Sol, Group Agronomy Director von Bonduelle
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Im Fokus
Jean-Marie Sol
Group Agronomy Director von Bonduelle
Smarte Landwirtschaft senkt den Einsatz von chemischen Mitteln und erhöht die Erträge.
Jean-Marie Sol ist ein internationaler Marketing- und Vertriebsspezialist sowie Experte für Forschung und Entwicklung im Bereich Agrarbusiness und Agrarlebensmittel. Im Verlauf seiner Karriere übernahm er unterschiedliche Aufgaben in den Bereichen Saatgut und Pflanzenschutz. Er studierte Biologie und Agrarwissenschaften in Toulouse und war anschließend sieben Jahre lang in Spanien, Portugal und Belgien für Monsanto, einen führenden US-Agrarkonzern tätig. Zwischen 2004 und 2016 arbeitete er in verschiedenen Ländern Europas für Syngenta, dem weltweit größten Hersteller von chemischen Pflanzenschutzmitteln und einem der weltweit führenden Saatguthersteller. Dort war er auf verschiedenen Positionen in den Bereichen Vertrieb und Marketing sowie Forschung und Entwicklung tätig. Anschließend wechselte er zu Bonduelle, wo er seitdem am Hauptsitz in Villeneuve-d’Ascq (Frankreich) arbeitet.
Fazit
Jean-Marie Sol ist überzeugt, dass die Digitalisierung der Landwirtschaft bei vielen Herausforderungen helfen wird. Durch Künstliche Intelligenz lassen sich ökologische Prozesse, die den Ernteertrag beeinflussen, besser verstehen. Unkrautroboter und smarte Sprühsysteme können zudem den Einsatz von Chemikalien verringern.