Die Zukunft des Internets
Im Gespräch mit dem Erfinder des WWW
11.09.2019
Vor gut 30 Jahren erfand Tim Berners-Lee das World Wide Web. Heute hat er neue Ideen, um seine Erfindung zukunftsfähig zu machen. Hier herrscht nämlich Bedarf, wie er selbst sagt.
Wäre das Internet und somit unser heutiger Lebensstil ohne Tim Berners-Lee denkbar? Über die Antwort lässt sich nur spekulieren, aber fest steht: Berners-Lee war einer der maßgeblichen Geburtshelfer des World Wide Web. Seine Vision, den Wissenschaftlern am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, Ende der 1980er Jahre die Möglichkeit zu geben, von überall auf der Welt, Daten und Ergebnisse auszutauschen, führte zu dem bahnbrechenden Netzwerk namens Internet. Er schuf damit die Grundlage für die Vernetzung von Milliarden Computern.
Berners-Lee hatte eine Notwendigkeit gesehen, das Potenzial erkannt – und eine Lösung geschaffen. Der Physiker und Informatiker sagt, eine gute Erfindung erkenne man daran, dass „sie gut für den Einzelnen und die gesamte Menschheit“ sei. Doch so sehr er der Gesellschaft mit dem World Wide Web ein „Geschenk“ machte, so deutlich sieht er auch Potenziale, seine Erfindung noch zu verbessern – und dafür zu sorgen, dass sie sich in Zukunft wieder etwas mehr in den Dienst der Milliarden Menschen stellt, die das Internet im heutigen digitalen Zeitalter nutzen. Denn: „Wir haben gesehen, dass es naturgemäß viele großartige aber auch weniger erfreuliche Dinge mit sich bringt, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, miteinander über das Internet zu kommunizieren,“ sagt Berners-Lee.
Das World Wide Web für digitale Höhenflüge nutzen
Ein Beispiel für eine mögliche Verbesserung sieht Berners-Lee in der Optimierung der Funktionsweisen sozialer Netzwerke und des Umgangs mit personenbezogenen Daten. „Den Leuten ist klar geworden, dass ihre persönlichen Daten in einem System genutzt werden und dass dieses System wiederum dazu benutzt wird, um sie zu manipulieren.“ Was ist die Lösung? „Man sollte einiges davon überarbeiten und verändern. Das Internet hat den Menschen noch viel zu geben, doch von allein wird nichts kommen. Wir müssen selbst etwas dafür tun.“
Für Berners-Lee bildet das Internet die Basis für Innovationen, die dessen Potenzial für neue Höhenflüge nutzen. „Ich wünsche mir, dass im Internet Systeme entstehen, mit denen wir mehr oder weniger ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, was gut ist für die Welt. Vielleicht können wir eine Art Wikipedia für Demokratie errichten, wo wir gemeinsam entscheiden, was getan werden muss.“
11 Milliarden
vernetzte IoT-Geräte gibt es weltweit. (Statista 2018)
Für ein frei zugängliches IoT
Berners-Lee glaubt, das Netz müsse offen, frei und für alle zugänglich bleiben – und das schließt für ihn auch das Internet der Dinge (IoT) mit ein. Die Entwicklung des Web von der Vernetzung von Informationen (Web 1.0) über die Vernetzung von Menschen (Web 2.0/Social Media) bis hin zur Vernetzung von Dingen (Web 3.0/IoT) beobachtet auch er gespannt. „Beim Internet der Dinge dreht sich alles um Automatisierung. Dabei ist jedoch wichtig, dass die vernetzten Systeme gut zusammenarbeiten und zwar unabhängig davon, bei welchem Hersteller sie gekauft wurden und ob es sich um Systeme für die Industrie oder für Privatkunden handelt.“ Auch hier spiele die Nutzung der privaten Daten eine wichtige Rolle.
Die Plattform Solid – Dezentralisierung des World Wide Web
Vor dem Hintergrund der anstehenden Entwicklungen und Herausforderungen hat sich Berners-Lee an der Schaffung der Plattform Solid (Social Linked Data) beteiligt, die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an der Universität von Oxford erforscht und umgesetzt wurde. Solid hilft, wie Berners-Lee es formuliert, die Silos der einzelnen Netzwerke aufzubrechen. Daten sollen nicht mehr einzeln – beispielsweise bei den Social-Media-Anbietern – gespeichert werden, auch wenn deren Software benutzt wird, sondern dort, wo der Nutzer es will. Jeder behielte somit mehr Souveränität über die eigenen Daten.
Diese sind in sogenannten Pods abgelegt, und über die Einstellungen lässt sich für jeden Pod regeln, welcher Anbieter – zum Beispiel von Gesundheits-Apps – darauf zugreifen darf. „Der Einzelne erhält dadurch wieder mehr Kontrolle”, sagt Berners-Lee. Außerdem erlaube diese Form jedem die Entwicklung neuer Apps, weil es technisch möglich ist, Zugang zu den Daten zu bekommen – vorausgesetzt deren Besitzer geben die Einwilligung dazu. Berners-Lee ist von Solid überzeugt, so wie er es vor 30 Jahren vom Internet war. Ob seine jüngste Erfindung seine berühmteste verbessern wird – die Zukunft wird es zeigen.
Tim Berners-Lee, der Erfinder des WWW, im Interview
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Im Fokus
Tim Berners-Lee, 64
CTO & Professor CSAIL/MIT
Im Leben sollte man Kenntnisse in vielen verschiedenen Bereichen entwickeln und diese Bereiche miteinander verknüpfen, um neue aufregende Dinge zu tun.
Tim Berners-Lee erfand HTML (Hypertext Markup Language) und das World Wide Web 1989 während seiner Tätigkeit als Software-Ingenieur am CERN in Genf, Schweiz. Heute steht er dem World Wide Web Consortium (W3C) vor, ist Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und hat seit 2016 einen Lehrstuhl an der Universität Oxford.
Fazit
Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, sieht die Notwendigkeit, dass seine Erfindung für die digitale Zukunft fit gemacht wird. Besonders in Bezug auf personenbezogene Daten und die Macht einzelner Netzwerke. Er freut sich auf die Innovationen, die auf Basis des Internets nun umgesetzt werden müssten. Sein eigener Beitrag ist die Plattform Solid, die Nutzern die Macht über ihre Daten zurückgeben möchte.